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Unterwegers Fortgang

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„Mein Leben ist nicht einfach“, sagte Unterweger. Und er sagte es mit Begeisterung. Vielleicht auch nur, weil er sich erst jetzt zu diesem Umstand bekennen konnte. Zu ihm stehen konnte. Das Sprechen strengte ihn an. Vielleicht auch nur, weil er nichts mehr zum Sagen hatte. Sein Mund war  trocken, seine Zunge schwer, seine Lippen rissig.
 
Von Jeniffer sprach er lange und mit wässrigen Augen. „Jeniffer ist einfach das schönste was es gibt“, so Unterweger. Und dass er sie liebte, aber ohne Erfolg. Aber er liebte sie, und rief zu Hause immer wieder ihren Namen, das störte ja niemanden, er war ja allein.
 
Unterweger wartete auf das zufällig eintretende Ereignis ihrer beider Begegnung mitten auf der Straße irgendwo in der Stadt oder in einem Bus oder in der Straßenbahn. Diese kam aber nicht. „Das Leben ist ein Rausch …“, schrieb er in sein Tagebuch. „Ein Rausch ist das Leben, und am Ende erst kommt das große Licht, das die Bühne erhellt, und du bekommst deinen Applaus!“
 
2
 
Unterweger schrieb über sein lyrisches Ich. Dann ging er in die Bar. Dort war das Licht, und das zeigte zu 100% Krankheit und Hinfälligkeit. Oder zeigte 100% Liebe und Geilheit. Oder zeigte Hohenwarters schöne Königskerzen. Oder zeigte Steckholzers lustige Streichholzparodien. Oder zeigte zarte kleine Mädchenfinger beim Typing auf smaragdgrün leuchtende Smartphontastaturen. Oder zeigte bürosesselverwöhnte Freizeitcowboys, die mit kleinen Plastikpferden über wein- und biernasse Tresenoberflächen galoppierten.
Oder zeigte auf kleine Marzipanblumen, die in den Haaren der Kellnerinnen streckten und von Kunden nach Entrichtung eines entsprechenden Trinkgeldes aus jenen herausgenascht werden durften. Oder zeigte Mengen und Solitäre. Oder zeigte auf sich selbst, und warf Licht auf makellos schöne Menschenkörper, und offenbarte damit noch ein paar Zufälligkeiten mehr. Und blieb doch nichts als Frage. Und Unterweger war sich mit einem Mal seiner Sache sicher.
 
3
 
Unterweger schickte Jennifer eine SMS folgenden Inhalts: Lass 100 Blumen blühen am Wegesrand, du  schönes Kind vom Land / und  jodle mir den Jodler / Deiner Freude in mein / Ohr! Ja jodle mir alle Antworten auf meine Fragen. Das wär doch mal / was anderes für unsre Liebesalltäglichkeit und dafür pflück ich gerne Dir / die blaue Blume der Romantik! oder auch das Edelweiß vom hohen Bergesgipfel! Und schon gleich mal darauf – Unterweger hatte gerade die den Zapfhahn bedienende Kellnerin um ein zweites Bier gefragt und ihr dabei freundlich zugelächelt – kam auch schon die Antwort Jeniffers: Vielen Dank fürs schöne Gedicht aber jodeln werd ich sicher nicht!

Und Unterweger lächelte ob der lieben Nachricht und trank den Schaum vom frisch gezapften Bier, griff erneut zu seinem Handy und tippt eine neue SMS folgenden Inhalts: Des Dichters Liebe war wirklich neues frisches Leben. /  Frühlingszufälligkeiten, hart gekocht wie Ostereier. Und weiter: Soll ich gehen oder bleiben? Um 0.56 Uhr geht / der Zug nach Beograd, soll ich fahren oder bleiben? Soll ich der unseligen Liebelei mit Dir ein / Ende machen und aufbrechen zu neuen Ufern? Um 0.56 Uhr geht der Zug nach Beograd. / In Beograd, der weißen / Stadt, nach neuen Ufern suchen, der Fremde sein und es / eine ganze Weile lang auch bleiben Und nichts mehr weiterwissen, weitersagen, weiterträumen. Und offen sein und mit den Tagen / um die Wette hoffen. Durch grüne Alleen wandeln und / der Blüten regnen lassen aus dunklen Horizonten. Und so auflösen der Liebe / Bann. Und hoffen auf ein Ende und zugleich auf Neubeginn.

Helmut Schiestl

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