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Nacht, Mutter: Großes Theater auf kleiner Bühne

Es ist ein Stück, das unter die Haut geht, das einen packt, fesselt und erst wieder los lässt, nachdem man den Abend lang mit der Mutter auf der Bühne als ohnmächtiger Beobachter im Publikum einen Kampf auf Leben und Tod mitgekämpft hat. Einen Kampf um deren Tochter. Es sind die ruhigen Momente, in denen die Mutter Thelma (Eleonore Bürcher) und deren Tochter Jessie (Alexa Wilzek) die viel zu oft nur scheinbar heile ländliche Familienwelt aufzeigen: da die Mutter, die den verstorbenen Vater nie wirklich geliebt hat, dort die Tochter, die ihren Vater auch über dessen Tod hinaus idealisiert. Doch der Reihe nach:

Die verwitwete Mutter und die geschiedene Tochter Jessie leben unter einem Dach. Rührend kümmert sich die Tochter um ihre Mutter, ordnet ihre Medikamente, erledigt die Einkäufe. Der Tagesablauf scheint von Routine geprägt, die lediglich von einer leer werdenden Süßigkeitenschachtel gestört werden kann. In diese Routine hinein eröffnet Jessie ihrer Mutter, dass sie sich demnächst umbringen wird. Sorgen brauche sie sich jedoch keine machen, sie habe ihr alles, was im und für den Haushalt zu tun ist, sorgfältig auf Listen aufgeschrieben. Die Chronik eines angekündigten Todes scheint ihren Lauf zu nehmen.

Fintenreich und alle Waffen einer liebenden, verzweifelt um ihre Tochter kämpfenden Mutter aufbietend, will Thelma ihre Tochter von dem Entschluss abbringen. Und wenn schon nicht abbringen, so solle sie doch zumindest noch ein bisschen warten. Nur ein bisschen. Zumindest eine Maniküre lang. Doch Jessie hat den Revolver des Vaters längst mit frischen Patronen bestückt.

Man braucht kein „Großes Haus“ um großes Theater zu zeigen. Eleonore Bürcher, vor zwanzig Jahren selbst in der Rolle der Tochter Jessie am Tiroler Landestheater zu sehen, verkörpert nun die um die Tochter kämpfende Mutter Thelma mit kaum zu überbietender Authentizität, hin- und hergerissen von Aufbäumen und Resignation. Mindestens auf Augenhöhe spielend ist man von einer Alexa Wilzek und ihrer Präsenz ebenso in den Bann gezogen. Wilzek schafft es, dass man sich neben der Mutter auch mit der Tochter und deren selbstmörderischen Gedankenwelt solidarisiert. Ein Gefühlschaos, das die Zuschauer nicht kalt lässt. Der oftmalige Ab- und Auftritt beim Schlussapplaus und „Bravo!“-Rufe bei der ersten Aufführung nach der Premiere können durchaus so verstanden werden: das ist rundum gelungenes Theater.

Regisseurin Katharina Welser bringt es zu Wege, das Publikum zu verblüffen: Mit einer nuancenreichen, aber unaufgeregten Inszenierung, mit einem den Aufführungsort perfekt in sich aufnehmenden Bühnenbild (Christine Brandi/Christoph Grud) und einem ungewöhnlichen Einstieg in einen glanzvollen Theaterabend.

„Nacht, Mutter“ – die aktuelle Produktion von „to act“ gibt es noch bis Mitte Oktober zu sehen:

21., 24., 25., 29. September sowie 2., 15. sowie 16. Oktober, jeweils 20 Uhr, „Die Bäckerei“, Dreiheiligenstraße 21a, Innsbruck. Karten (EUR 15.-/18.-) via 0650/3058518 oder info@toact.at

Markus Koschuh

One Comment

  1.  ich finde theater auf kleiner bühne eh viel besser! also nix gegen landes- oder burgtheater, aber wenn man den schauspieler/inne/n auf ein, zwei metern nahe ist, knallts entweder richtig rein … oder sie bleiben eben oberflächlich!

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