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Music and the city (Vol. XIV)

Wadada Leo Smith, oder: wie ich lernte die Trompete zu lieben
 
Wadada hält sich in einem wunderbaren Zwischenraum zwischen Free-Jazz, Avantgarde, Blues und Funk auf, den nur wenige Musiker jemals betreten haben
 
… Gottes Werk und Teufels Beitrag
 
Wie kann man diesem Teufelstrompeter also nachfolgen, der sich explizit dafür ausspricht, dass Musik eine Anleitung ist, zu Gott hin zu gelangen, der sich dafür einsetzt, die Musik wieder in ihrer ganzen Metaphysik stark zu machen, womöglich gar wieder dafür einzutreten, sie als das „gute, wahre und schöne“ zu definieren? Am besten, wenn man diese Kategorien und diese Verstiegenheit von Wadada ignoriert und bemerkt, dass er sich, paradoxerweise, auch für Zen-Buddhismus zu interessieren scheint, wie es seine Aussagen und vor allem seine Musik nahelegen. In dieser Musik findet sich keine Transzendenz, sondern eine „Rezendenz“, ein Rückschritt, der eigentlich ein Fortschritt ist und fortan als sein solcher zu gelten hat. Es ist der Schritt hin zur „Welt“, zur Alltäglichkeit, zum Geräusch, zur Wahrnehmung, dass letztlich alles Musik ist: „everything we do is music“, wie es John Cage ausgedrückt hat. Wenn also alles was uns umgibt Musik ist bzw. auch jede Tätigkeit, die wir ausführen, atmen, uns bewegen, handeln, per se Musik ist, dann muss auch Musik selbst, in einem konventionellen Sinne verstanden, sich dieser Erkenntnis stellen. Wadada tut das auf eindrucksvolle Weise, wenn man ihn atmen hört, seinen Atem in der Trompete zirkulieren hört, wenn er sich bewegt, man förmlich wahrnimmt, wie er sich im Studio bei diesen Aufnahmen bewegt haben muss. Sein Körper kann gar nicht stillstehen, weil auch diese Musik nicht stillsteht, sich ständig bewegt, verändert, bricht, ohne die Zäsur an sich in den Mittelpunkt zu stellen.
 
… Schwelle, Passage, Verwandlung
 
Auch deshalb besteht seine Musik weniger aus verschiedenen Teilen, die aufeinander folgen, sondern sie besteht aus Übergängen, aus Passagen und aus Schwellen, die ineinander überfließen. Wenn seine Musik sich irgendwo in einem bemerkenswerten stilistischen Zwischenraum aufhält, dann schlägt sich diese Haltung, diese „Nicht-Verortung“ auch auf die Form der einzelnen Stücke nieder. Sie basieren zumeist, zumindest wenn man seine neueste Platte „Heart´s Reflections“ nimmt, zumeist auf relative einfachen Grooves, die dann erweitert, hinterfragt, ad absurdum geführt werden. Sie geben den Eindruck, dass der Weg, den die Musik von Smith einschlägt, ein einfacher, teleologischer und allzu selbstsicherer ist. Doch sobald seine Trompete einsetzt, bemerkt man das Taumeln, das Zögern, die Unmöglichkeit sich zielgerichtet und mit einer Selbstsicherheit fortzubewegen. Auch wenn Wadada die Sprache der Musik sehr verinnerlicht zu haben scheint, so ist er in einem gewisse Sinne „begriffstutzig“, wie es auch Handke an den Anfang seines Schreibens stellt.
 
Obwohl Smith natürlich nicht mit Begriffen umgeht, sondern mit Tönen, merkt man ihm an, dass er immer wieder stutzig wird, sich über einzelne Klänge wundert, sie auskostet, sich bei ihnen aufhält und sich eingehend fragt, was nun folgen soll. Das jedoch alles, ohne verkopft zu wirken, verkopft zu sein, sondern immer noch im Geiste des Free-Jazz zu stehen, der den einzelnen Musiker als Virtuosen in den Hintergrund drängen will. Die Musik spricht, nicht der Musiker. Die Aufgabe des Musikers ist es, der Musik zu dienen, die Technik dient dem Ausdruck, dem Sound, der Atmosphäre, der Überschreitung. Technik um der Technik willen ist auch bei Wadada Leo Smith nicht zu finden.
 
… Ohne Gewalt, ohne Ziel
 
Wadada ist ein Musiker, der nur einer kleinen Minderheit bekannt ist, sozusagen den „happy few“, denen diese Klanggemälde aus freier Improvisation und Komposition zugänglich sind. Man kann sich nur wundern, warum das so ist, denn seine Musik ist niemals sperrig, sondern stets einladend, freundlich, großherzig und warm. Seine Projekte sind weit entfernt von der Sperrigkeit eines John Zorn oder von der (teilweisen) Selbstverliebtheit eines Elliott Sharp. Sein Trompetenspiel berührt, verführt, malt Bilder und erweitert den eigenen musikalischen Horizont mit jedem Ton. Doch diese Neuheit ist niemals völlig neu, niemals völlig unverständlich, denn Wadada begleitet, achtet darauf, dass seine Hörer_Innen niemals den Anschluss verlieren, sondern ihm stets Ton für Ton folgen wollen.
 
Seine Welt ist friedlich, ohne Gewalt, ohne Provokation.
 
 
 

Markus Stegmayr

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