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Music and the city (Vol. VII)

Mit der Aufführung von Morton Feldman´s „For Philip Guston“ wagte sich das Osterfestival weit hinaus. Wer sich in dieses Wagnis hineinwagte, wurde reich belohnt.
 
John Cage, Feldman, Guston
 
Das Stück „For Philip Guston“, das im Salzlager Hall zur Aufführung gelangte, hat gleich zweierlei Verweise auf zwei großartige Künstler, von denen zumindest einer wesentlich maßgebender ist, als es der intellektuelle und künstlerische Mainstream wahrnimmt und annimmt. Zum einen ist das der Maler Philip Guston, dessen Malereien, dessen Hang zur Andeutung und zum Zarten Feldman in diesem weit über 4 Stunden andauernden Werk inspiriert hatte. Über die Verbindung von Musik und Malerei lässt sich lange reflektieren, letztlich kommt man der Sache am nächsten wenn man davon ausgeht, dass ein Bild eine Sprache hat, die der Komponist eventuell versteht, und es zugleich auch versteht, diese Sprache zu transferieren, in seiner Kunst zu modifizieren, ohne das Bild in der Übersetzung untergehen zu lassen. Worüber man nicht schreiben kann, dazu soll man komponieren. Der zweite und wesentlich maßgeblichere Einfluss ist hier allerdings John Cage. So ist das Grundmotiv (C-G-As-Es) eine deutliche Anspielung an John Cage.
 
Die Suspension von Gewalt
 
John Cage steht wie kein anderer für den Bruch mit der „Gewalt“ in der Musik, für die Aufwertung der Sanftheit, der Zurückhaltung, der Stille. Die Stille des Komponisten ist zugleich auch die Enthaltung von dem gewalttätigen, schöpferischen Akt. Feldman geht dabei nicht so weit wie Cage, der letztlich jegliches Geräusch zur Musik werden lässt und somit letztlich auch den Werkbegriff und die Künstlerintention per se in Frage stellt. Wir müssten, wenn man Cages Thesen radikalisiert, nur nach draußen gehen, dem Autolärm oder sonstigen Geräuschen zuhören, und schon haben wir Musik, ein Werk, das eben keines mehr ist. Bei Feldman äußert sich diese Erkenntnis auf andere Weise.
 
Kein Halt, kein Stück
 
So bietet Feldman musikalisch wenig an, nur wenige Töne, nur wenige Akkorde, in den über 4 Stunden, so könnte man sagen, passiert nichts weltbewegendes, nichts, dass einen mitreißen würde. Das Stück gleicht weniger einem reißenden Fluss, sondern vielmehr einem leisen, vor sich hin plätschernden Bächlein. Der Rezipient, der es sich an diesem Abend wahlweise auf Stühlen oder auch Matten bequem machen durfte, wurde zu keiner bestimmten Rezeption gezwungen: er konnte das Stück jederzeit verlassen, ja sogar nach zwei Stunden entscheiden, genug gesehen zu haben, weil ohnehin nichts „Neues“ mehr zu erwarten war. Er konnte entscheiden, auf jeden neuen Akkord zu warten, geduldig zu sein, erwartungsvoll. Es war aber auch möglich, vor sich hin zu dämmern, in einen Halbschlaf zu versinken und mit der Situation, mit der Atmosphäre, mit den spärlichen Klängen, welche durch den wunderbaren Raum im Salzlager schwebten, eins zu werden, nicht mehr zu fragen, welcher Akkord, welche Variation des Grundmotivs gerade gespielt wurde und wohl folgen mochte. Die Stille lenkte die Rezeptionshaltung hin zur Welt, zu den Bäumen und den Bergen, die durch das Fenster des Raumes sichtbar wurden, hin auf die langsam einsetzende Dämmerung, dann Nacht. Leise waren die Glocken von außen zu vernehmen, die das Stück in diesen Klang übergehen ließen, die Entscheidung, was Stück und was Welt ist hinfällig machte.
 
Musik und die Welt
 
Nach der objektiv doch langen Zeit, die das Stück dauerte, vor sich hin floss, hatte sich die Welt verändert. Man ging leicht benommen aus dem Konzert, die kalte Nacht war weniger Zumutung als der Einbruch der Realität. Wummernden Bässe aus einem VW-Golf, auch das war uns ist Realität. Das Stück besänftigte, machte die Wahrnehmung unscharf, ohne jedoch einzulullen und in ein Meditationsgesäusel abzurutschen. Es war weniger Gesäusel, kein zukleistern mit schwülstigen Keyboard-Teppichen, sondern die schiere Zumutung absoluter Stille, der Vielzahl und Vervielfältigung der Zwischenräume, der Leere, in der nichts passiert. Diese Leere auszuhalten und mit Leben zu füllen, ist die Herausforderung der Musik von Morton Feldman ebenso wie der Musik von John Cage. Auch die Entscheidung, wie das Stück zu rezipieren ist, wo das Zentrum des Stücks, wo das Finale, wo der Augenblick der größten Ergriffenheit stattfinden soll, nimmt einem Feldman nicht ab. Das Stück endet mit ein paar Takten absoluter Stille. Damit ist seine Musik ein ebenso großer Bruch wie die Musik von John Cage und in dessen Geist zu betrachten: kein Zwang, keine Gewalt, kein Beethoven und Wagner mehr, die mit den ZuhörerInnen spielen, diese ihren Affekten ausliefern. Letztlich ist man als Laie den Gefühlen ausgeliefert, die einem diese Komponisten abringen. Feldmans Musik hingegen ist friedlich, vielfältig, ohne Höhepunkt.
 
Der Abend wurde dennoch zu einem musikalischen Höhepunkt, zu einem unvergesslichen Erlebnis. Da capo!

Markus Stegmayr

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