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Music and the city (Vol. 38): Ravi Coltrane II

Warum fällt mir in Bezug auf das Konzert von Ravi Coltrane die Formulierung „Thinking inside the box“ ein und warum kann ich mich gar nicht erinnern, woher dieses Zitat stammt und ob es überhaupt eines ist? Ich möchte nicht schon wieder vom System Jazz sprechen und werde es hier auch nicht tun. Ravi Coltrane, Sohn des legendären John Coltrane, gastierte am 21.11. im Innsbrucker Treibhaus.

 

Es gibt jedenfalls eines, das völlig evident ist nach dem Konzert von Ravi Coltrane uns seinen durchgehend exzellenten Musikern: Alles bewegt sich hin zur Evidenz und verschleiert, zerstreut und verunmöglicht zugleich auch schon wieder. Ich komme auf keinen Punkt und das obwohl alles auf den Punkt gebracht worden ist. Vielleicht mag ich diesen Punkt auch nicht mehr, das Zentrum das eigentlich völlig klar ist, lässt sich für mich nicht mehr verstehen. Eine seltsame Situation, aus der ich mich auch Tage nach dem Konzert nicht habe befreien können. Und immer noch spreche ich nicht darüber, finde nur Atttribute wie sehr gut, interessant, melodisch ansprechend.

 

Niederreißen oder verschönern?

 

Und was die „Box“ betrifft, warum fällt mir da eine Schachtel ein, gut ausstaffiert, innen bunt bemalt, man fühlt sich wohl, wenn man sich vorstellen könnte, sich in dieser aufzuhalten: und doch besteht sie aus Karton, sind ihre Wände nicht sonderlich massiv, ganz im Gegenteil. Man könnte sie leicht niederreißen und sehen, was sich außerhalb befindet. Doch drinnen ist es schön, warm, gut beackert und auch hier ist schon ein Begriff da, der sich „Freiheit“ nennen könnte – und spielerische Raffinesse. Und sie ist rießengroß, auch nach Jahren kann man sich kaum vorstellen, jeden Winkel von ihr gesehen, erkannt und verstanden zu haben.

 

S. und ich sind uns einig: Hier will nicht ausgebrochen werden, hier will bespielt werden, erspielt, redproduziert und dann mit einer Lässigkeit und Leichtigkeit noch angedeutet werden, was „außerhalb“ möglich wäre. Doch es sind einzelne Töne, Ahnungen und Schatten. Ganz so als habe man es sich in einer Ungemütlichkeit gemütlich gemacht, denn gemütlich ist die wunderbare Geschichtsstunde von Ravi und den Seinen auf keinen Fall. Und durch die teils enorme Komplexität schimmert teilweise die Einfachheit des Verständnisses, das man sich über Jahre angeeignet hätte, wenn man es denn getan hätte und es nicht vorgezogen hätte, sich mit den schönen Rändern zu beschäftigen, mit dem Ausfransenden.

 

Ravi und John…

 

Und somit ist klar, dass alle Werkzeuge bereit lägen, man muss nur die Platten von Monk genau wiederhören, und auch der Vater John Coltrane ist natürlich ein Schlüssel. Doch sie liegen zuhause herum, wurden hin und wieder benutzt, seitdem verstauben sie aber ein wenig in den Ecken der Ignoranz. Und wer Ignoranz lernt und zum Mittel der Analyse erhebt, der irrt sich, der irrt sich sogar mitunter gewalig, der wird nur mehr über Dinge schreiben, sprechen und reflektieren, die einem ad hoc gefallen. Radikalität und Offenheit als Fallen, als Kippmomente, die sich ins Gegenteil verkehren. Offenheit kann zur Konvention werden, wenn als Haltung behauptet wird, immer wieder.

 

Die eigene Ignoranz…

 

So ist das Konzert von Ravi Coltrane eine Erinnerung an die eigene Ignoranz, das eigene Unverständnis und doch auch an die  Tatsache, dass man sich nicht einfach so zurück bewegen kann, zumal man auch den Begrifff der Innovation, der Freiheit und des Ausbruchs selbst sehr unreflektiert verwendet, die einem aber doch zur Wahrheit und zur eigenen starren Haltung geworden sind. David Virelles am Piano ist die sanfteste der Erinnerungen, der spielt so, als gäbe es kein Innen und Kein Außen, kein Gestern, kein Heute und kein Morgen, sondern immer nur einen zarten, vergänglichen und spielerisch brillianten Augenblick. Sein Spiel nimmt ein, weil es nicht einnehmen will.

 

Und vielleicht ist auch das eine Form von (guter) Ignoranz: Man ignoriert die Übererfüllung von Konventionen, akzeptiert die Konvention des Szeneapplaus, zu dem hier ausreichend Raum geboten wurde. Es wurde nichts sabotiert und nichts in Frage gestellt, sondern auf immensem Niveau die Jazzgeschichte interpretiert und ins Heute transferiert. Man könnte auch sagen: neu ausgemalt, neu gestaltet. Und wie gelungen das doch war, wie wunderschön, wie herausragend.

 

Und doch blieb, subjektiv, das Gefühl, das nicht mehr verstehen zu können, weil man sich nicht mehr zu lange im Kern, im Mittelpunkt aufhalten konnte. Man musste vergessen lernen, um wieder im Augenblick eines Momentes, eines Ereignissen existieren zu können. Denn gute Musik gebiert den Blitz des Augenblick und des Werdens und ist immer auch ein wenig vergesslich. Die Musik von Ravi Coltrane vergisst nichts und ist dennoch ganz wunderbar. Wie soll man da noch Bewertungen vornehmen?

 

Markus Stegmayr

One Comment

  1. Da kann ich nur  zustimmen: Sicher eines der schönsten Konzerte dieses Jahres, schade für alle, die es verpasst haben!

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