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Music and the city (Vol. 28 – Teil 2)

Der Avant-Jazz Trompeter Peter Evans gastierte mit einem seiner zahlreichen Projekte im Schwazer Eremitage – und skizzierte überzeugend, wie die Zukunft einer Musikrichtung aussehen könnte, die seine Herkunft nicht verleugnet, aber immer wieder transzendiert und transformiert

 

Mit zwei Begriffen kann man sich dem Schaffen von Peter Evans am besten annähern: mit dem Begriff des „geisterhaften“, den er bei seiner Platte „Ghosts“ selbst ins Spiel bringt und mit dem Begriff „Palimpsest“. Wollte man die Musik von Evans somit diskursiv fassen und einige metaphorische Anhaltspunkte suchen, diese beiden wäre brauchbare Anker um sich in der komplexen, zeitweise abstrakten Musik nicht zu verlieren. Doch vielleicht gibt es auch so viel Hier und Jetzt, so viel Präsenz, so viel musikalisches Abenteuer, dass man sich gerne in dieser Musik verlieren möchte, wie in einem wunderschönen Irrgarten, bei dem man weder weiß, wie man diesen betreten hat, noch wie man ihn jemals wieder verlassen soll? Doch zuerst sollen diese beiden Fäden doch noch aufgenommen werden, in der Hoffnung, den Überblick zu behalten.

 

„Geisterhaft“ ist die Musik von Peter Evans auch deshalb, weil immer wieder Schatten einer Jazzgeschichte durch die Stücke huschen, die jedoch so skizzenhaft geworden sind, dass man sie kaum mehr erkennen, geschweige dann kategorisieren kann. Man glaubt dennoch Evans immer wieder bekannte Motive spielen zu hören. Auch in den Worten zu einem seiner Live-Alben legt er diese Spur selbst aus: in „seinen“ Stücken sind andere Stücke eingewoben, besser auch: aufgehoben. Sie „dürfen“ zum Teil ihre eigene Harmonik behalten, sie dürfen ihre Identität bewahren, doch ihre Chronologie und ihre Tempi werden vollständig verändert, diesen untergeschoben. Peter Evans rückt sich damit schon fast in die Tradition von Duchamp, da er Elemten und Teile von Stücken vorfindet, die er in andere Kontexte stellt und somit ihre Bedeutung verändert oder zumindest verschiebt. Mit der sich daran anschließen lassenden postmodernen Zitatkultur hat das dennoch kaum was zu tun. Das Projekt ist, bei allem spielerischen Witz, ein modernes Projekt, das seinen Anspruch „Avantgarde“ zu sein durchaus ernst nimmt. Es wird nicht nur mit den Zitaten umgegangen, sondern sie werden auf der Ebene des Materials angegangen, auf diese Weise verändert, moduliert und transformiert. Kein postmodernes Spiel, sondern eine wohlüberlegte, kalkulierte und intellektuelle Kleinarbeit, die zu überraschenden Ergebnissen führt.

 

Peter Evans will die Geister, die er rief in seinem Stücken gar nicht loswerden, sondern er will ihnen einen Platz einräumen und sie wieder zum Leben erwecken, jedoch niemals so lebendig werden lassen, dass sie den Platz seiner Vision einnehmen können. Sie halten sich stets im Hintergrund, sind präsent, man erkennt sie in Augenblicken, nur damit sie dann beim nächsten Ton oder beim nächsten Single Note Run wieder verschwinden. Es sind Andeutungen, Skizzen, Fragmenten, die dazu dienen, abzuheben, seinen eigenen Punkt zu finden, von dem ausgehend die Band abheben kann und zu eigenen Motiven und Improvisationen finden kann. Man könnte das auch als eine Ästhetik der Möglichkeiten beschreiben, die nicht nur bloß nachahmen will, sondern die sich offen hält, das Stück als Ausgangspunkt zu gebrauchen, ohne der Vorlage jedoch den Respekt zu verweigern. Es ist daher ohne Problem sagbar, dass die Tracks von Evans „Palimpseste“ sind. Es sind „Überschreibungen“, Transformationen, der „Ausgangstext“ wird im „Zieltext“ zu etwas Neuem, ohne dass der Ausgangstext vollständig verschwindet. Es sind Überlagerungen, mit denen wir es zu tun bekommen und die den Verstand irritieren und faszinieren. Die Übung der Entschlüsselung wird sich niemals an dem gerade Hörbaren allein festmachen können, sondern sie wird den Ausgang mitdenken müssen, der jedoch niemals Ursprung ist. Es ist denkbar, dass auch schon vorher Palimpseste exitiert haben, die Ausgangstexte also ebenfalls keine unbeschriebenen Blätter sind oder waren. Diese Methode führt also zu einer unendlichen Komplexität, die überfordert zurücklassen muss. Der Interpret beißt sich die Zähe aus und er wird wieder zurückgeworfen auf das Jetzt, auf das Konzert, auf den Augenblick, auf das Enstehen der einzelnen Elemente in der Live-Situation.

 

Und diese Live-Situation hatte es in sich: zwar waren nur wenige dem Ruf von Peter Evans gefolgt, was allerdings die Spiellaune der Musiker nicht einzuschränken schien. Vor allem die Platte „Nature/Culture“ von Evans kam einem bei diesem Gig in den Sinn: hier wurde gezeigt, was aus einem eigentlich „natürlichem“ Instrument alles zu holen ist, wenn man diese vermeintliche Trennung aufhebt. Evans machte nicht nur von seinen eindrucksvollen Atemtechniken Gebrauch, sondern auch von Effekten und Verfremdungen seines Instrumentes, die jedoch niemals künstlich klangen, sondern sich organisch in das Soundgesamte einfügten. Sam Pluta, der eigentlich dieses außergewöhnliche Projekt in die ferne Zukunft katapultierte, reagierte auf das Spiel der jeweiligen Musiker mit präzisen und soundästhetisch interessanten Live-Electronics, die sich wie von selbst in den Klang einer an sich analogen „Jazz-Band“ einfügten.

 

Hier wird also die Dichotomie zwischen Natur und Kultur aufgehoben, symbiotisch neu interpretiert. Man kann also mit Recht behaupten, dass, vor allem in Augenblicken in denen Pluta völlig im Gesamtsound aufging, etwas entworfen wurde, das man so in dieser Form noch nicht gekannt hat: eine Band, die sich genauso in der geräuschhaften Musik aufzuhalten schien, wie sie sich auch in der Jazzgeschichte beinahe schon traumwandlerisch sicher  bewegte. Es ist deutlich, dass „Jazz“ für diese Art von Musik nur mehr als Hilfsbegriff herhalten kann, um ihre tendenzielle Herkunft zu verorten. Der wahre Anspruch dieser Musik ist aber nicht, verortet werden zu können, sondern sich selbst zu „ent-orten“. Sobald man an einem musikalischen Ort angekommen war, sobald eine Genrezuschreibung wieder Sinn zu machen schien, wurden diese Zuschreibungen wieder zurückgewiesen, freundlich, aber bestimmt. Dass bei diesen Zurückweisungen der Eindeutigkeit auch immer Humor im Spiel war, verbindet dieses Projekt auch mit einem anderen Projekt von Evans, das sich „Mostly Other People Do The Killing“ nennt.

 

Der musikalische Abenteurer konnte sich hin und wieder ein Lächeln nicht verkneifen wenn er hörte, wie Jim Black, einer der außergewöhnlichsten Schlagzeuger der Welt, Rock-Rythmen andeutete, sich in Free-Jazz-Drumming übte und dabei weniger durchgänige Rhythmen spielte, als vielmehr auf die Musik mit einem befreiten Spiel antwortete und reagierte.  Er musste auch lächeln, wenn plötzlich, inmitten einer abstrakten Klangkakophonie, lupenreiner Be-Bop auftauchte. Es steht außer Zweifel: Peter Evans ist einer der wichgisten Musiker des Jetzt.  Es ist schade, dass sich, zumal in Tirol, diese Tatsache noch nicht rumgesprochen hatte und somit nur wenige dieser musikalischen Vision von Peter Evans und seinen grandiosen Mitmusikern beiwohnten.

 

 

Live-Fotos folgen demnächst!!

 

Einstweilen einige Live-Schnipsel von seinem Live-Album „Live in Lisbon“, das man all denen ans Herz legen könnte, die gestern nicht dabei waren (allerdings fehlt hier Sam Pluta…)

 

http://www.youtube.com/watch?v=MjJHSz1-Hdc

 

http://www.youtube.com/watch?v=nRp6Ih1iZ_M&feature=related

 

 

 

 

Markus Stegmayr

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