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Music and the city (Vol. 28) [Teil 1]

Abseits der Trampelpfade in Innsbruck passiert in Schwaz, im Eremitage, demächst Wunderbares, das man sich nicht entgehen lassen sollte

 

Es passiert ja relativ selten, dass sich „Stars“ der Avant-Jazz Szene in das beschauliche Tirol verirren. Umso erstaunlicher ist es, wenn man erfährt, dass Saudades, die im idyllischen Buch bei Jenbach sitzen, fast sämtliche Größen dieser Szene als Booker unter Vertrag haben: angefangen bei Nels Cline, Tim Berne, John Zorn bis hin zu Peter Evans, der demnächst in der kleinen Stadt in Tirol auf der Bühne stehen wird.

 

Man darf sich also einstellen auf einen Abend mit Peter Evans (05.03. Eremitage) , der nicht nur Kennern der New Yorker Avant-Jazz-Szene als einer der wichtigsten Trompeter überhaupt gilt. Seine unglaubliche Kenntnis der Jazz-Geschichte in Verbindung mit einem unbedingten Hang zum musikalischen Abenteuer hebt ihn weit aus der Masse der sonstigen Musiker hervor. Evans kann in einem Moment fast schon lupenreinen Jazz spielen und Standards auf intensive Weise interpretieren, nur um sich dann im nächsten Augenblick auch schon wieder in wüste Klang-Kakophonien zu vertiefen, die einen verstört aber auch bereichert zurücklassen.

 

Evans ist ein Kenner und ein Abenteurer, ein Traditionalist und ein Avantgardist – und sein Peter Evans Quintet lässt diese vermeintlichen Widersprüche in ein komplexes Klangkunstwerk münden, das zwar Brüche kennt, aber letztlich doch homogen wirkt. Gestützt von Jim Black, einem der am freiesten spielenden Schlagzeuger den man finden wird und Sam Pluta, der für die Live-Electronics zuständig ist, wird man hier einen Abend genießen, der die Zukunft des Jazz skizziert: widerspenstig und eigenwillig, aber auch einladend und in der Tradition verhaftet, dieser aber weniger um jeden Preis treu, sondern aus dieser schöpfend, wie aus einem Wissensarchiv.

 

Matthew Shipp meinte einmal, dass man Jazz ja nicht mehr als Jazz begreifen muss, sondern auch als eine Form von „Action-Painting“ sehen kann. Auch Peter Evans und seine Mitmusiker werden wohl ein solches entstehen lassen, wobei das Verhältnis von komponierten Teilen und improvisierten Elementen so leicht nicht zu entschlüssen sein wird. Man könnte auch sagen: ein faszinierendes Rätsel, das man genüßlich interpretieren sollte, ohne jedoch den puren Genuss eine fantatsischen Band zu vergessen.

 

Dem noch nicht genug wird auch Tim Berne demnächst in Schwaz zu hören sein: auch bekannt als einer der umtriebigsten und vielseitigsten Saxophonisten New Yorks, der nicht erst seit gestern definiert, was man unter einem Genre zu verstehen hat, das man einst Jazz nannte. Snakoil, sein neuestes Projekt, das am 18.03. im Eremitage gastieren wird, ist Ausdrucks eines Musiker, der in seiner jahrzehntelangen Spielerfahrung keine musikalischen Grenzen mehr kennt. Hier wird Free-Jazz ebenso verhandelt wie Neue Musik, das ganze jedoch immer in eine Art von kammermusikalischem Rahmen: es geht um den puren Klang, darum wie Instrumente klingen, wie sie atmen, wie sich ein Song und eine Struktur entfaltet, der man keine oder nur sehr komplexe Grenzen setzt.

 

Die Songs wuchern in viele Richtungen, verlieren aber nie die Spur.Der Bass fehlt völlig, sodass die Tracks nicht „grooven“ können, sondern einen anderen Reiz entfalten: die Freude an der Präsenz von Klängen, die im nächsten Moment auch schon wieder vergangen sind. Diese Musik ist ungeheuer flexibel, unfassbar, sich entziehend und dabei doch auch immer, auf eine dunkle Weise, wärmend. Snakoil ist soger in dem Schaffen von Berne etwas von ausnehmender Güte und Experimentierfreude: seine erste Veröffentlichung für ECM lässt ihn aber nicht gemäßigter erscheinen, verschiebt jedoch die Kompositionen von Berne in ebendiese Richtung: hier stehen mehr die grandiosen Kompositionen im Mittelpunkt; Berne präsentiert sich als ein Komponist, der aus einem reichen Fundus von Spielerfahrung schöpfen kann.

 

Kurzum: hier sind zwei Pflichttermin genannt, die auch die kleine Reise nach Schwaz lohnend macht.

 

Konzertberichte folgen im Teil 2 von Vol. 28

 

 

 

 

 


Markus Stegmayr

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