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Music and the city (Vol. 25)

Diese "Kaze" ist bestimmt keine, die sich zu einem an den Ofen kuschelt. Sie ist auch keine, die schnurrt, wenn man sie streichelt. Hinter "Kaze" versteckt sich ein Projekt, das von der in Tokio und New York lebenden Musikerin Satoko Fujii ins Leben gerufen wurde. Jetzt liegt ein Live-Mitschnitt vor, der es in sich hat: absolutes Kuschelverbot!

 

Die Frage, die sich bei solcher Musik immer stellt, könnte wie folgt lauten: kann man sich diese Musik auch in Innsbruck anhören, oder braucht es den großstädtischer Raum, um dieser Musik nahezukommen?  Eine mögliche Antwort darauf könnte sein: kann man dieser Musik denn überhaupt jemals nahekommen oder ist der, etwas bemühte Vergleich des Teasers mit einer "Kaze" (nur weil man die Katze fast gleich schreibt, sehr witzig), nicht doch eine möglicher Weg um mit diesem sperrigen Biest umzugehen? Klar ist: diese Musik ist seltsam, abstoßend, merkwürdig, etwas, das man nicht gerade mal so nebenbei laufen hat, wenn man eigentlich auf eine andere Sache konzentriert sein will. Auch eurer Kolumnist ist gnadenlos dabei gescheitert, diesen Text hier zu verfassen und dabei "Rafale" zu hören, die Platte, von der hier die Rede sein soll. Diese Platte ist eine widerspenstige Katze, die immer mal wieder ihre Krallen zeigt.

 

Er hat ausschalten müssen und sitzt jetzt in der Stille da: diese illusorische Stille, von der John Cage meinte, dass sie überhaupt nicht existiert, sondern nur den Weg frei macht ,um etwas anders zu hören, das ansonsten vom Geräusch übertönt werden würde: das Rauschen des eigenen Blutes. Dazu kommt noch, dass dieses Rauschen gar nicht zu Gehör kommt, sondern vielmehr das Rauschen des Laptops, die leisen Stadtgeräusche aus der Ferne; und eben die Erinnerung vor kurzem noch das Album "Rafale" gehört zu haben, das jetzt nur mehr Erinnerungsfragment ist und schon wieder hinabsinkt in das Vergessen. Es wird auch deutlich, dass man sich diese Musik nicht merken kann, danach bleibt keine Erinnerung an den "Inhalt" dieser Musik, diese Platte funktioniert nur im Moment, im Augenblick, dann, wenn man sie gerade hört, am besten mit guten Kopfhörern. Dann kann man die Klangsubstanz wahrnehmen, erfühlen, die Atmosphäre einsaugen, sich das Material immer wiedern neu arbeiten, denn es klingt bei keinem Hören gleich oder auch nur ähnlich. Diese Platte hat keinen Inhalt im klassischen Sinne, keinen linearen Songverlauf, dem man sinnhaft folgen könnte, sondern kennt nur eine Materialästhetik, die im direkten Hörkontakt zum Tragen kommt.

 

Welcher "Stimme" folgt man: dem Piano von Satoko Fujii selbst? Der Trompeten, die oft mehr Atem ist als tatsächlich gespielter, tonaler Klang? Dem Schlagzeug, das manchmal  sanft streichelnd, dann wieder wild und konfus hämmernd, den einen oder anderen Holzweg zu einem wunderbaren, sinnvollen Weg macht, den einzigen, der durch diese Tracks führt?  Hier ist man jedoch tatsächlich auf dem falschen Weg, denn er führt ganz sicherlich nirgendwo hin, oder auch überall. Dieser Weg kennt nur ein Wuchern, eine Suspension des Sinns und ein Inkrafttreten des Augenblicks, der Zeit, die, mit Byung-Cul Han gesprochen, so wunderbar duftet bzw. duftend wird, wenn man nur seine Haltung zur linearen Zeit ändert. Han behauptet auch, dass man die "tiefe Langeweile" empfinden muss, um etwas wirkliches Neues zu wollen. Geht man diesen Weg entlang, in dieser Stadt (Innsbruck), in einem winterlichen grau, dann wird man sich schnell langweilen: man hat schon alles gesehen, vieles auch schon hunderte oder tausende Male. "Rafale" beginnt mit einigen Minuten Geräusch, etwas, das vielleicht früher mal eine schön klingende Trompete war und sich jetzt in Mikrotonalitäten ergeht. Beginnt man sich hier ähnlich schnell zu langweilen wie einer allzu bekannten und überschaubaren Stadt, kommt die Sehnsucht auf nach New York oder Tokio, in der diese Musik ja auch zum großen Teil komponiert worden ist? Ist eine Trompete, die keine Trompete mehr ist, sondern Geräusch und somit keine Melodie mehr anbietet, eine ähnliche Projektionsfläche für Langeweile?

 

Ist genau die Provinz der richtige Ort, um sich auf diese Platte zu konzentrieren, genau in dem Augenblick, in dem sie eine Ahnung der Möglichkeiten wird, die man eben in Innsbruck gar nicht hat? Sie wird zum Schatten ihrer selbst, die Versprechungen auf einen Club in der solche Musik live gespielt wird ist in weite Ferne verbannt. Genau in diesem Moment der Unerreichbbarkeit, der Unmöglichkeit, so die These, ensteht ein neuer Reiz an dieser Platte: sie lässt den/die HörerIn sehnen, hoffen, ohne Aussicht auf Erfüllung. Der radikal avantgardistische Anspruch dieser Platte, der gar dazu angetan sein mag, aufzufordern, selbst zum Instrument zu greifen, wird durch eine neue Art von Wehmut ergänzt und gar übertünkt. Die Platte wird traurig, wenn sie sich nicht in ihrem üblichen Umfeld aufhält – und erhält Qualitäten, die so gar nicht intendiert waren, die aber wundervoll ergänzend wirken. Wer hat schon jemals zu einer solchen Platte geweint?

 

Hörbeispiele:

 

http://www.youtube.com/watch?v=nizGw-51Nis

 

http://www.youtube.com/watch?v=KEggLX8V7zo

 

 

 

Markus Stegmayr

3 Comments

  1. mir taugt an deinen artikeln, dass ich immer mit neuen, mir noch unbekannten musikstilen in berührung komme. zwar habe ich nicht geweint, aber es interessant, was die dame so drauf hat!

  2. @Music-Is-My-Life:  Wie auch immer: man kann dazu lachen, weinen, erstaunt sein. Aber es freut mich, wenn meine Intention hier verwirklicht ist: ich möchte "Neues" vorstellen.

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