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Music and the city (Vol. 23)

Nimmt man die "Ausweitung der Klangzone" ernst, dann spielt Matthew Shipp eine wichtige Rolle. Seine Musik ist grenzenlos und eine faszinierende Klangutopie.

 

Mit seinem Album "The Art Of The Improviser" eröffnet Matthew Shipp eine Fülle an Referenzen, die schon im Titel beginnen, der direkt auf Ornette Coleman Bezug nimmt.  Bei diesen Liveaufnahmen macht er aber nicht nur ein Fass an Referenzen auf, sondern auch seine Musik sprudelt über vor Ideen, die Tracks sind eigene Welten für sich, anderswo würde eine solche Reichhaltigkeit an Ideen für ein ganzes musikalisches Leben reichen. Wobei man fairerweise sagen muss, dass diese Livemitschnitte die Karriere von Shipp zusammenfassen sollen und zugleich auch einen Ausblick bereitstellen sollen, wie es weitergehen könnte. Die Tracks sind dabei derart vielschichtig, dass sich kein klarer Weg herausdestillieren lässt, nur eines: es gibt keine Grenzen bei Shipp, seien sie spielerisch, harmonisch oder rhythmisch gelagert. "The Art Of The Improviser" eröffnet einen riesigen Möglichkeitsraum, der die Musik, ausgehend von dieser Platte als eine Art von Plateau, in alle Richtungen wuchern lassen kann. Shipp hat seine Wurzeln im Jazz, doch seine Improvisationen, die sowohl an Keith Jarrett als auch an Cecil Taylor denken lassen, streifen immer auch wieder die sogenannte "Neue Musik". Letztlich ist eine Festlegung nicht nur unmöglich, sondern auch nicht wünschenswert. Diese Musik ist weniger bilderstürmend, als sie die Bilder, die man sich von Jazz machen könnte, ignoriert und wegwischt, allerdings nicht mit einem radikalen, gewaltvollen Gestus, sondern im Spiel, in der Improvisation, Unterwegs, fast im Vorbeigehen.

 

Ist man mit Matthew Shipp unterwegs, dann darf man sich nicht wundern, wenn er sich auch durch eine Reihe von Standards spielt, die aber nicht mehr wie solche klingen. Nichts ist Shipp fremder als die "richtige" Art und Weise, wie man Standards intonieren und Motive wiedergeben sollte, zu beachten. Man kann sich sicher sein, dass seine Musik auch in den nächsten Jahren nicht dazu benutzt werden wird, Fahrstühle zu beschallen oder von dem einen oder anderen Barpianisten interpretiert werden wird. Die Musik  von Shipp ist unbequem, aber nicht schreiend, sie ist nicht extrovertiert, aber intensiv. Man hat niemals das Gefühl hier einen Virtuosen zu hören, der die Möglichkeiten des Klaviers ausschöpft, um sich selbst als genialer Interpret und Komponist darzustellen. Es geht vielmehr um die Ausschöpfung von Musik per se, um das Hinweisen darauf, was alles möglich ist und wohin es weiter gehen könnte. Der Interpret ist zwar immer präsent, der grandiose Komponist Shipp immer anwesend, doch er weiß auch, wann der richtige Moment gekommen ist, sich in den Hintergrund zu stellen und die Musik zu Wort kommen zu lassen.

 

Und was für Musik das ist: diese Musik dreht sich im Kreis, taumelt, schreitet sicher voran, wiederholt sich, hasst nichts mehr als Wiederholungen, zelebriert den Widerspruch und ist zugleich in ihrer Klarheit fast nicht zu übertreffen. Alles was in dieser Musik passiert, ist präsent und zugleich, aufgrund der oftmals rasend schnellen Wechsel, auch schon wieder vergangen. Doch die Platte huscht nicht vorbei, sondern sie nimmt mit, will immer wieder abschütteln, lächelt dann aber immer wieder und weist darauf hin, dass man diese Achterbahnfahrt nicht allzu ernst nehmen muss. Man hat nie das Gefühl, dass er sich so bierernst nimmt wie Jarrett, der seinen ZuhörerINnen schon mal bei Konzerten das Husten verbieten möchte. Auf  "The Art Of The Improviser" hört man immer wieder Leute husten, was nicht stört, vor allem aber hört man sie immer wieder rufen: "Great". Shipp hinterlässt erschöpft, er versteht es aber, indem er seine Musik immer wieder mit sinnlichen Aspekten anreichert, nicht zu überfordern. Er will sich nicht dem Verständnis entziehen, zugleich legt er aber auch keinen Wert darauf, nachvollziehbar und konventionell zu sein. Das schlimmste für Shipp scheint das Stereotyp zu sein: seine Musik ist das Gegenteil davon: sie ist von der Angst angetrieben, zu wiederholen, was bereits unzählige Male gespielt wurde. So speist sich seine Musik aus dem überkomplexen System Jazz, zugleich schleicht sich Shipp aber immer wieder aus diesem System hinaus oder  begibt sich zumindest an dessen Ränder. Möglich ist, was Shipp spielt, nicht was das System an Grenzen festlegt.

 

Shipp ist gerade dabei, seine HörerInnenschaft zu erweitern, das wunderbare Label "Thirsty Ear" steht ihm dabei treu zur Seite. Aufgrund seiner Kompromisslosigkeit scheint Shipp nicht nur konventionelle Jazz-HörerInnen anzusprechen, sondern auch HörerInnen, die die Grenzen und die Limitierungen von Genres satt haben. Hier wird aus den Vollen geschöpft. Einem Kommentar zu seiner Musik der anmerkt, dass diese Musik nicht "schön" wäre oder sich also nicht um "Schönheit" kümmere, kann man nur vorhalten, dass er sich mit obiger Tatsache nicht auseinandergesetzt hat. Musik, die aus den Vollen schöpft, muss alles inkludieren, auch die Kakophonie, die Improvisation, den Zufall, das Häßliche, die Komplexität der Welt, in der diese Musik steht. Shipp ist die Musik für das Jetzt, die aus der Geschichte schöpft und zugleich mit einem Bein im Werden und in der Zukunft steht.

 

Einen ersten Eindruck seiner Musik kann man hier gewinnen:

 

http://www.youtube.com/watch?v=DmuJvJsjokk

http://www.youtube.com/watch?v=AAu_lMEGZYo&feature=related

 

 

 

Markus Stegmayr

One Comment

  1. Durstige Ohren bekomme ich, wenn ich Shipps Outpost höre – einfach ein Genuss, was der Mann aus den Tasten kitzelt!

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