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Was hat Hans Kelsen mit Innsbruck zu tun?

Hans Kelsen gehört seit vielen Jahren zu den Heiligen der Juristenwelt und ist auch in Innsbruck präsent. Kelsen hat sich nach der Reifeprüfung am Akademischen Gymnasium in Wien (1900) als Einjährig-Freiwilliger gemeldet und ist für ein Train-Regiment rekrutiert worden. Nach Kriegsausbruch wurde der 1902 zum Leutnant der Reserve beförderte Kelsen am 1. August 1914 aktiviert und trat bei der k. u. k. Traindivision Nr. 14 in Innsbruck seinen Dienst an. Den Fronteinsatz konnte er geschickt umschiffen.

Der hochverdiente Universitätsprofessor für Österreichische Geschichte an der Universität Innsbruck Franz Huter, der als 17jähriger an der Dolomitenfront gekämpft hat, hat für solche Juden wie Kelsen den Terminus „Train-Jude“ verwendet. Huter ist der Unterschied zu den vielen, von den Nazis vertriebenen, wegen Tapferkeit vielfach ausgezeichneten jüdischen Frontkämpfern aus Wien wie die beiden Spitzenwissenschaftler Fritz Feigl oder Hermann Franz Mark aufgefallen.

Der selbstbezogene und selbstsichere Kelsen gelangte, am 1. August 1915 zum „Oberleutnant-Auditor“ ernannt, nach Train-Umwegen am 3. Oktober 1917 in das Büro des k. u. k. Kriegsministers. Dort entwarf er eine „für alle Verhältnisse“ passende Militärverfassung.

Seit einigen Jahren haben deutsche Juristen im wieder Aggressionskriege führenden Deutschland Kelsen für ihre Rechtswissenschaft entdeckt und stellen ihre Vorlesungen und Publikationen über Freiheit, Demokratie und Zivilcourage unter seinen Baldachin. In Innsbruck wurde 2020 vom deutschen Zeithistoriker Dirk Rupnow der deutsche Rechtsprofessor in Münster Oliver Lepsius eingeladen, mit Kelsen die erste Innsbrucker Gedächtnisvorlesung für Christoph Probst zu halten (2020).

Probst hat sich als Angehöriger einer in Innsbruck für das Medizinstudium stationierten Studentenkompagnie der auf den „Führer des Deutschen Reiches und Volkes“ Adolf Hitler vereidigten Deutschen Wehrmacht nicht an die militärische Disziplin gehalten. Er ist seinem humanistischen Gewissen gefolgt und wurde wegen seines tapferen Widerstandes in München hingerichtet (22. Februar 1943).

Aber es ist gerade Hans Kelsen, der den US-Offizieren am Naval War College (1953/54) vor ihren Einsätzen für die illegalen US-Kriege gelehrt hat, es sollten Befehlsempfänger im Interesse der militärischen Disziplin nicht das Recht haben, selbständig zu entscheiden, ob sie diesem Befehl befolgen oder zurückweisen.

Der Literaturwissenschaftler aus Vorarlberg an der Universität Innsbruck Eugen Thurnher, der in München im Umfeld des studentischen NS-Widerstandes war, hat über Kelsen dem Autor dieses Beitrages aus Anlass eines gemeinsam mit Eduard Rabofsky verfassten Buches („Hans Kelsen im Kriegseinsatz der k. u. k. Wehrmacht“) eine politische Einschätzung gegeben (1988): „Ich bin durch Ihre Schrift über manche biographische Einzelheiten in Bezug auf Kelsen belehrt worden, wundere mich aber sein Verhalten nicht, da ich nie sehr viel von ihm gehalten habe. Vor allem ist für mich die >reine Rechtslehre< ein völlig blutleeres Konstrukt.

Reines Recht gibt es nirgends. Recht gibt es immer nur im Zusammenhang mit einer bestimmten historischen Gesellschaftssituation. Sie würden vielleicht sagen als Ausdruck der materiellen Entwicklung der Gesellschaft. Einig sind wir darin, dass das Recht nie in reiner Form existiert, sondern immer von gewissen Voraussetzungen bedingt ist. So halte ich auch unsere Verfassung von 1920, die im Wesen auf Kelsen zurückgeht, für außerordentlich mangelhaft“.

Thomas Olechowski hat unter Mitarbeit von Jürgen Busch, Tamara Ehs, Miriam Gassner und Stefan Wedrac eine umfassende, 1027 Seiten umfassende Biographie über Hans Kelsen bei Mohr Siebeck 2020 publiziert.

Gerhard Oberkofler

Bild: https://de.wikipedia.org/wiki/Hans_Kelsen#/media/Datei:Hans_Kelsen_(Nr._17)_-_Bust_in_the_Arkadenhof,_University_of_Vienna_-_0290.jpg

Gast

3 Comments

  1. Der Ausdruck „Train-Jude“ gefällt mir nicht, auch wenn dieser tolle Professor Huter ihn verwendet hat.

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