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Vor mir liegt das Gewünschte

Vor mir liegt das Gewünschte,  das, was ich mir aus dem Regal geholt und der Kassierin auf das Kassaförderband gestellt habe: Ein Glas Honig und ein Glas Tomatensugo. Die Kassierin macht sich daran, die beiden Waren einzutippen. Als sie das Glas Honig eintippen will, öffnet sie es unvermittelt und für mich völlig überraschend, taucht ihren Finge in die klebrige Masse und leckt diesen hernach genüsslich ab. Ich schaue ihr dabei erstaunt zu. Sie lächelt mich an. Dann schraubt sie den Deckel wieder auf das Glas und tippt die Ware ein. Ich sage nichts, bin irritiert über dieses frivole Spiel. Ziehe meine Geldtasche und bezahle die beiden Waren, ehe ich gehe. Und denke, jedes Mal wenn ich wieder komme – und ich gehe ja jeden Tag in den Supermarkt – werde ich mich an diese Tat der Supermarktkassierin erinnern.

Der Kassierin aber, die sagenhaft hübsch ist und mich immer freundlich bedient – meistens sagt sie „Servus“ zu mir oder „Hallo“ und zum Abschied ein langgedehntes „Ciao“ – verzeihe ich diese Tat, ja was gibt es da überhaupt zu verzeihen? Ich liebe diese Kassierin, ja ich liebe sie, ganz sicher liebe ich sie! Sonst hätte ich mich ja schon im ersten Moment, nachdem sie ihren Finger in das von mir gekaufte Glas Honig gesteckt hatte, so geekelt, dass ich sofort und ohne noch ein Wort zu sagen, das Geschäft verlassen hätte. So wie ich ein anderes Mal die  gleich nebenan gelegene Bäckerei höflich aber bestimmt mit den Worten „Danke, heute nichts“, verlassen hatte, nachdem die dort tätige Verkäuferin noch sich nach meinen Wünschen erkundigend,  in ihre Hand gehustet hatte.  Das ärgerte mich maßlos, wie kam ich dazu, mich von der kranken Verkäuferin, die ja vielleicht einem grippalen Infekt hatte, anstecken zu lassen? Obwohl ich nichts gegen sie hatte, so war das doch für mich unerträglich, und ich verließ das Geschäft gruß- und brotlos.

Zu Hause setzte ich mich erst mal in meinen Lehnsessel und ärgerte mich über dieses und jenes. So etwa über die Unternehmen, die ihre Angestellten schlecht bezahlen und so keine Ersatzkräfte bekommen, wenn diese krank werden, so dass sie bis zum Umfallen arbeiten müssen, während ihre Chefs und Chefinnen sich dann durch verschiedene Charity-Aktionen und Benefizaktivitäten ein schönes Image in den Medien machen, indem sie etwa diverse Obdachlosenheime oder Behinderteneinrichtungen mit hohen Geldspenden unterstützen, wozu sie sich dann zusammen mit deren Bewohnern und Leitern, welche dazu  überdimensionierte Geldscheine aus Plastik oder Pappdeckel in den Händen halten, abfotografieren lassen. Zum Kotzen fand ich das.

Einige Wochen später ging ich in den Wald und schrieb auf einen Stein: Alles an einer Frau lieben! Darauf war ich stolz und freute mich.

Und Catherine  fiel mir wiederein, in die ich mich neulich verliebt hatte, und die dann einige Monate meine Freundin war, oder wir taten einfach so, als wären wir ein Herz und eine Seele, bis sie mir eines Tages erzählte, dass sie einen anderen Freund gefunden hätte, und ich rastete nicht aus oder machte ihr eine Szene, reagierte weder mit Weinen noch mit Beschimpfungen oder gar Morddrohungen. Nein, ich holte eine Flasche Champagner aus dem Keller, Gläser aus der Küche, öffnete die Flasche, schenkte Catherine und mir ein und sagte zu ihr:  Es freut mich so, dass du so schön bist, dass dich auch andere Männer begehren! Und weiter:  Je mehr Männer dich schön finden, und meinetwegen auch Frauen, umso mehr liebe ich dich! liebe dich, liebe dich! Das letzte nur mehr hingehaucht, in einem sanften Tremolo verschwimmend, mit Tränen in den Augen.

Und Catherine sah mich mit großen Augen an, und sagte schließlich:  Du bist unrettbar verloren, mein süßes Eichhörnchen! Stieß mit mir an, trank das Glas ex, ehe sie ihren Pelzmantel anzog und in die kalte Nacht hinaus verschwand. Ich öffnete das Fenster und blickte Catherine nach, wie sie die Kernstockgasse hinunterging, und langsam im Schneegestöber verschwand, dessen Flocken meine Nase und meine Wangen kitzelte, während die Wärme des eben getrunkenen Champagners in mein Gesicht stieg, es erhitzte, fröhlich machte, oder was auch immer.

© Helmut Schiestl

Erstes Foto: Ausstellung Käthe Kruse in der Galerie der Stadt Schwaz

 

Helmut Schiestl

One Comment

  1. „Zu Hause setzte ich mich erst mal in meinen Lehnsessel und ärgerte mich über dieses und jenes. So etwa über die Unternehmen, die ihre Leute schlecht bezahlen und so keine Ersatzkräfte bekommen, wenn ihre Angesellten krank werden . . . “ AnGESELCHTEN oder AnGESTELLTEN?

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