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Transit oder Transition? Die etwas andere Volksbefragung

In Innsbruck soll ein Ableger der weltweiten Transition Towns-Bewegung entstehen. Ein Aufruf.

Als ökologisch orientierter und motivierter Mensch habe ich ein paar alte Bekannte, die mir schön langsam auf den Geist gehen. Ihr kennt sie vielleicht auch. Einer von ihnen heißt Klimagipfel. Er spielt sich immer groß auf, lässt seinen klingenden Reden aber selten nennenswerte Handlungen folgen. Einen Poser würde ihn die Jugend nennen. Seine Schwester trägt den Namen Grünes Wachstum. Ihr trendig eingerichteter Singlehaushalt hat schon zwölf Stockwerke, und doch ist sie gerade dabei, das dreizehnte zu planen. Wichtig sei nur, die Wände in der richtigen Farbe zu bestreichen, meint sie. Rückendeckung bekommt sie vom Kollegen Fortschritt, den alle immer gerne dabei haben.

 

Jederzeit hat er einen guten Witz auf Lager. Und wie oft er schon in ausweglosen Situationen mit seinem ungebremsten Optimismus für kollektive Erleichterung gesorgt hat! Seine Tochter Energiewende hat die positive Attitüde wohl vom Papa vererbt bekommen. Zwar erst in der Krabbelstube, wird sie schon jetzt als zukünftiger Weltstar gefeiert. Das macht den Papa unheimlich stolz. Darauf kann mensch auch mal anstoßen, zum Beispiel mit der Tante Ökosoziale Politik. Zusammen haben sie schon ganze Wasserfälle gepredigt und Weinkeller leergesoffen.

 

Das war sie, die gute alte Zeit! In dieser Zeit hab ich mich mit meinen Bekannten einigermaßen gut verstanden. Wir waren nie beste Freunde und schon immer etwas verschieden, aber sie haben mich toleriert und ich sie. Neulich aber haben sich die Dinge entscheidend gewendet. Bei einem gemütlichen Plausch mit meinen guten FreundInnen Wirklichkeit, Perspektive und Kreativität habe ich Sachen über meine alten Bekannten erfahren, die neues Licht auf vieles Altgewohnte werfen. Noch wichtiger war, dass sie mich an diesem Abend eine alte Binsenweisheit spüren haben lassen: „Erst in schwierigen Zeiten erkennst du, wer deine wahren FreundInnen sind.“

Genug der Metaphern. Reality Check. Das Erdöl wird weniger. Ich spare mir hier die Zahlen. „Peak Oil“ kann jede/r suchmaschineln. Und selbst wenn wir uns hier irren würden (mensch beachte den Konjunktiv II), ließen uns der Klimawandel und die weltweite Zerstörung unserer Lebensgrundlagen keine andere Wahl, als Wege des Zusammenlebens zu finden, die nicht auf fossilen Brennstoffen und gewaltvoller Ressourcenausbeutung aufbauen.

 

Wir kennen die Puzzlestücke. Wir haben vom Fördermaximum für Erdöl gehört. Wir wissen Bescheid über Artensterben, Degradierung der Böden und Plastik im Atlantik. Wir hören von möglichen Auswirkungen der Klimaerwärmung, die selbst in den Best Case-Szenarien bereits an die Grenzen des Vorstellbaren stoßen. Wir sind uns im Klaren darüber, dass so gut wie alles, was wir an Materiellem in unserem Alltag benötigen oder zu benötigen glauben, im Endeffekt zu „Wohlstand“ verwandeltes Erdöl ist.

 

Mit all diesen Puzzlestücken vor uns stellt sich nun eine für mich entscheidende Frage: Wollen wir das Puzzle zusammenstellen, das Bild auf uns wirken lassen und daraus Handlungen ableiten? Ich kenne wenige Menschen, die diesen Mut aufweisen. Das ist verständlich. Wenn mensch mit überwältigenden Herausforderungen konfrontiert wird, ist Ausblendung eine verlockende Option. Zumindest für eine Weile.

 

Die internationale Transition Towns-Bewegung hat es sich zur Aufgabe gesetzt, die Mauern der Verweigerung einzureißen. Erster Schritt: Herausforderung erkennen. Zweiter Schritt: Den unmöglichen Sprung in mögliche Schritte zerlegen. Dritter Schritt: Gemeinsam losgehen. Auf der Website des Transition Network heißt es: “Transition Network supports community-led responses to climate change and shrinking supplies of cheap energy, building resilience and happiness.” Frei übersetzt: Bürgerinnen und Bürger nehmen Dinge in die Hand, die sie Platter, Faymann und Co. nicht mehr zutrauen. Wer möchte schon ihre Sicherheit und Glück in den Händen von Menschen wissen, deren oberstes Credo Machterhalt heißt? Die viel zitierte Politikverdrossenheit sollte nicht zu Apathie, sondern zu Eigeninitiative führen.Bottom-up war schon immer die Antwort, wenn das Scheitern von Top-down nicht mehr zu verleugnen war.

 

Die Transition-Bewegung wächst mit der Erkenntnis, dass die direkte Korrelation zwischen Ressourcenverbrauch und Wohlbefinden eine Lüge ist. Selten war mir so wohl wie bei den Geschmacksexplosionen, die frisch geerntete Tomaten und Basilikum von der südseitigen Hauswand zu bewirken vermögen. Kein Urlaub hat mir je so gut getan wie das unbeschwerte und zeitlose Wandern und Sein in einem Naturraum, der noch nicht zur Ressource transformiert wurde. Beinahe unbeschreiblich ist das Glücksgefühl beim ziellosen Nichtstun mit meiner Liebsten an einem schönen Sommertag. Und was gibt es Befriedigenderes für einen jungen Erwachsenen aus der „Generation Geringeres Übel“ als sich einmal nicht für das weniger Schlimme (du kennst das Gefühl in der Wahlkabine und im Supermarkt), sondern für das Bestmögliche einzusetzen?

 

Die kollektive Übersetzung dieser vielen Einzelerfahrungen manifestiert sich in einer neuen Kultur. Es liegt an uns allen, eine neue Geschichte zu schreiben, in welcher die Unbeschwertheit der einen nicht auf der Ausbeutung der anderen aufbaut. Es ist die Geschichte von friedlichen, verantwortungsbewussten und glücklichen Gemeinschaften, deren Reichtum sich in der Fülle und Vielfalt lokaler Kreisläufe und in der Stärke sozialer Bindungen messen lässt. Es ist die Geschichte vom Ende des Bruttosozialprodukts.

 

Genug der Romantik. Reality Check, Teil 2. Wir sehen, dass in Tirol weder sonderlich viel Getreide wächst noch Schweine in nennenswerter Zahl grunzen. Trotzdem halten sich Schüttelbrot und Speck hartnäckig als ein Teil unserer kulturellen Identität. Wir verstehen, dass die Energieschleuder namens Massen-Wintertourismus kein sonderlich gutes Beispiel für ein zukunftsfähiges Geschäftsmodell darstellt. Trotzdem handeln und entscheiden wir so, als könnten wir uns auf alle Zeiten die 95 % der hier konsumierten Lebensmittel, welche nicht in der Region produziert werden, beim Rest der Welt einkaufen. Mit Geld, das in eine immer gravierendere Vertrauenskrise schlittert, weil es sich immer deutlicher als zerstörerisches Pyramidenspiel offenbart.

 

Es scheint fast, als könnte uns nur noch ein Wunder retten. Doch bevor wir uns jetzt wieder in Verzweiflung und Realitätsverweigerung suhlen, hören wir uns lieber an, wie der Schriftsteller, Philosoph und Visionär Charles Eisensteinein Wunder definiert: „A miracle is something that is impossible from one’s current understanding of reality and truth, but that becomes possible from a new understanding.“ Wir brauchen keine Magie, sondern ein neues kulturelles Narrativ. Dann werden wir auch in Tirol die Wunder nur so aus den Ärmeln schütteln.

 

Innsbruck hat – zugegebenermaßen erst auf den zweiten Blick – einiges mit Städten wie Las Vegas und Dubai gemeinsam. Was bei aller berechtigten Kritik am Transit gerne verschwiegen wird: Ohne Brennerautobahn und Schienenverkehr wäre hier Hungersnot angesagt. Das Innsbruck von morgen braucht Gemeinschaftsgärten, Obst- und Nussbäume sowie eine lokale Kreislaufwirtschaft. Innsbruck braucht energieextensive Mobilität. Innsbruck braucht eine Vision, die auch ohne Ausblendung und Verweigerung fortbestehen kann. Diese Vision bedarf neuer revolutionärer Energiequellen, und zwar der Vorstellungskraft, der Kreativität und des Gemeinschaftssinns aller InnsbruckerInnen. Vor diesem Hintergrund formiert sich die Initiative Transition Innsbruck.

 

Wer glaubt, jetzt einfach abwarten zu können, um in einigen Wochen an dieser Stelle die erste Erfolgsgeschichte von Transition Innsbruck zu lesen, irrt vielleicht. Bottom-up, remember? Die Transition hängt von dir ab. Registriere dich auf transitionaustria.ning.com und werde dort Mitglied der Gruppe „Transition Innsbruck“. Dann können wir gemeinsam eine Geschichte schreiben, die keine Realitätsverweigerung mehr nötig hat.

 

Text von Daniel Baumgartner



3 Comments

  1. Mit diesen Gedanken kann ich mich sehr gut identifizieren – es hängt an uns alle, die Welt ein bisschen besser zu gestalten und JEDE/R macht einen Unterschied! Die Welt ändert sich rasant und wird vom Zuschauen sicher nicht besser: Werdet aktiv, träumt und handelt!

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