1

Trakl reloaded

Die Tiroler Dramatikerin Petra Maria Kraxner hat den expressionistischen Lyriker Georg Trakl in ihrem Stück DIE BLÄUE BLEIBT ZU 52% in die Jetztzeit transferiert. Aus dem opium- und kokainsüchtigen ist ein technosüchtiger geworden, der sich nichtsdestotrotz aber allerlei Chemikalien zu Nutze macht, um seinen Schaffensrausch zu beschleunigen, nebenbei smst er und schreibt Gedichte in Handy, telefoniert mit seinen Verlegern und Freunden und hält ein inniges, im Großen und Ganzen aber doch eher chaotisches Verhältnis zu seiner Schwester Margarethe . So weit hat sich die Autorin an die biographischen Daten ihres Protagonisten gehalten.

 

Die Idee, seine Vita in die Jetztzeit zu versetzen mag interessant und von einer gewissen Originalität sein – zu erinnern wäre hier vielleicht an Derek Jarmans Film Caravaggio vielleicht eignet sie sich auch besser fürs Kino. Als Theaterstück näher bringt sie uns die Figur des die Katastrophen des heraufdämmernden zwanzigsten Jahrhunderts wohl genial voraussehenden und an diesen schließlich zerbrechenden Dichters leider nicht. Trotz eines guten und sehr engagierten Schauspielerensembles unter der Regie von Alexander Kratzer, das sich müht, dem Stück den richtigen Dreh zu geben, und das im wahrsten Sinn des Wortes: Bewegung dominiert während der ganzen Aufführung, lässt den/die Zuschauer/in  am Ende aber doch etwas ratlos zurück. Eine Ratlosigkeit, die im letzten Bild der Aufführung, in dem ein an die antike Tragödie erinnernder Chor von dümmlichen Seitenblicke-Journalistinnen auftritt, und, brennende Grablichter haltend, die Fragen nach biographischen Details stellt. Der Dichter ist verstummt, in die Versenkung verschwunden. Verstanden hat ihn wohl niemand.

 
Und noch einmal Derek Jarman: Sein letzter Film hieß Blue und bestand nur mehr aus einer Kameraeinstellung, die Farbe Blau füllte die Leinwand aus, dazu im Off die Stimme von Schauspieler/innen und des Regisseurs, über das Leben und über die Symbolik der Farbe Blau sinnierend. Blau zu 100% Bei Trakl waren es noch zweiundfünfzig – laut einer statistischen Auswertung seiner Lyrik – dazwischen lagen zwei Weltkriege und Brutalitäten ohne Ende Die Farbe Blau als Symbol des Himmels vielleicht oder der Unendlichkeit. Auch für Trakl mag sie so etwas bedeutet haben. Er tanzt den Techno mit seinen Freunden, lebt als Bohemien, trinkt und kokst sich zu und meldet sich am Ende zu einem Uno-Friedensbataillon auf den Golan. Ob das für ihn eine wirkliche Alternative gewesen wäre?
 
Ein Theaterabend zum Grübeln und Weiterdenken vielleicht. Nur mehr heute Abend. Im Westbahntheater, Feldstraße 1. Beginn 20 Uhr.
Für Kurzentschlossene und solche, die das heutige Euro-Endspiel zwischen Italien und Spanien nicht für das wichtigste Ereignis des heurigen Jahres halten wollen.
 
 
 

 


Helmut Schiestl

One Comment

  1. ja da gings mir ähnlich: Muss man denn alles unbedingt (post)modern umsetzen, aktualisieren, transferieren und verzeitgeistigen?? Trakl war ein Kind seiner Zeit, ein blutiges eben und wie er zwischen Smartphone und Mediengeilheit herumwirbelt: Wer braucht das denn? Sicher waren Schauspieler-innen und Regie einfallsreich, aber das Ganze ging eben nicht "auf": Vieles war eben nur dargestellt, hinterließ (wie HS ja schreibt) ratlos und wirkte seltsam steril. Muss nicht sein: Lieber wieder mal Trakl lesen statt neugeistig dramatisieren.

Schreibe einen Kommentar zu Der Zuschauer Antworten abbrechen

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert