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TOTENFRAU. Ein Tiroler Krimi erobert den internationalen Buchmarkt. Bernhard Aichner – ein Porträt und Interview. Teil.ZWEI: Der Autor, der nicht weiß, wie seine Figuren aussehen

Langsam kommen schon die ersten MittagesserInnen ins Central. Wir sind mehr denn je vertieft in unser Gespräch mit Bernhard Aichner, der von Frage zu Frage noch ein Stück mehr aufblüht. Er genießt es, seinen Traum, Schriftsteller geworden zu sein, Revue passieren zu lassen, sein Schaffen und seinen Werdegang mit uns zu reflektieren.

Bernhard.Aichner.TotenfrauMit 15 begann er zu schreiben und damit aus dem Alltag in eine andere Welt zu fliehen.   Anfangs reichte ihm die Zweisamkeit mit seinem Text, der Moment des Schreibens, das Gefühl, sich eine Luftblase geschaffen zu haben, die einen für ein paar Augenblicke davonträgt. Doch irgendwann müsse so ein literarischer Text auch nach draußen, „in die Welt hinaus“, auch anderen zugänglich werden.

Die Rahmenbedingungen für erste Publikationen junger AutorInnen hätten sich seit der Zeit seiner eigenen ersten Veröffentlichungen nicht grundlegend geändert. Wichtig sei vor allem:

„Texte an Literaturzeitschriften schicken, veröffentlichen wann und wo immer möglich und es dann bei den Verlagen versuchen.“

Ein Verlag erhoffe sich erste Referenzen, bevor er das Risiko einer Veröffentlichung eingeht:

„Junge unbekannte AutorInnen stellen ein größeres Risiko dar als bereits etablierte. AutorInnen, die bereits veröffentlicht haben, zum Beispiel in Literaturzeitschriften, haben schon einmal eine Referenz. Dann schaut der Verlag sich ein Manuskript auch genauer an.“

Besonders in Österreich seien laut Aichner aber auch Kontakte zu MitarbeiterInnen aus Literaturzeitschriften und Verlagen sowie zu AutorkollegInnen von nicht geringer Bedeutung:

„Ungefragt eingereichte Manuskripte schaffen es äußerst selten, ein Buch zu werden. Kennt man als AutorIn jemanden von einer Literaturzeitschrift und der/diejenige jemanden von einem Verlag etc., hat man schon viel größere Chancen. In Österreich laufen literarische Veröffentlichungen häufig über Kontakte und Netzwerke, in Deutschland fast nur noch über LiteraturagentInnen. Als AutorIn bewirbt man sich dann bei einer Literaturagentur. Die Agentur bietet das Buch daraufhin den Verlagen an. Meistens bekommen Agenturen bereits innerhalb von zwei Wochen eine Antwort.“

Natürlich sei es für angehende SchriftstellerInnen am allerwichtigsten, regelmäßig und viel zu schreiben und auch zu lesen. Neben der damit einhergehenden Routine verhelfe einem aber nur eines zum Erfolg:

„Im Grunde muss man einfach auf allen möglichen Wegen auf sich aufmerksam machen, das Geschriebene präsentieren und Manuskripte verschicken. Und niemals aufgeben, auch wenn erstmal Absagen kommen.“

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Für Bernhard Aichner war sein erster publizierter Erzählband eine spezielle Ermutigung, weiter zu schreiben. Aber auch jedes neue Buch – druckfrisch in seinen Händen – empfindet er immer wieder als etwas Besonderes, als den „Lohn für all die Mühe, die notwendig war, damit es am Ende so aussieht“.

Ein gedrucktes Buch ist das Ergebnis von Stunden über Stunden, in denen ein Blatt nach dem anderen vollgetippt wird. Wir wollen von Aichner wissen, wie die Entstehung eines Romans bei ihm konkret abläuft, wie seine Schreibroutine aussieht und ob sie sich über die Jahre vielleicht verändert hat.

„Früher habe ich lange nicht in diesem Ausmaß wie jetzt geschrieben. In den letzten Jahren habe ich die Hälfte meiner Zeit fürs Schreiben, die andere Hälfte fürs Fotografieren verwendet, wobei ich mit der Fotografie immer mehr verdient habe. Momentan reduziert sich das Fotografieren auf 30%, was dem Schreiben wiederum sehr gut tut. Ich kann jetzt auch mal ein weiteres Theaterstück oder Drehbuch verfassen, wofür ich vorher keine Zeit hatte. Ein Buch neben dem Zweitberuf entstehen zu lassen, erfordert sehr viel Disziplin und Durchhaltevermögen. Irgendwann vor 10, 15 Jahren habe ich mich dafür entschieden, anderes für das Schreiben zurückzustellen.“

Aichner schreibt heute jeden Tag, „im Grunde ständig“, wobei „Schreiben“ für ihn nicht nur Am-­Laptop-­Sitzen bedeutet:

„Ein großer Teil meines Schreibens besteht aus der Vorarbeit im Kopf. Einen Plot zu entwerfen, mir Figuren auszudenken, eine Geschichte immer wieder umzubauen – das alles spielt sich im Kopf ab und gelangt nicht unbedingt aufs Papier oder den Bildschirm.“

Die Vorlaufzeit für geplante Projekte spiele sich teilweise ein oder sogar zwei Jahre im Voraus ab:

Der größte Teil des AutorInnendaseins besteht sicherlich aus Schreiben, aber vor allem für jemanden wie Bernhard Aichner kommt auch die Präsentation seiner Bücher nicht zu kurz. Nach neun Monaten ruhiger Arbeit am Schreibtisch empfindet er es als wunderschön, drei Monate lang „draußen zu sein, in Kontakt mit den LeserInnen zu treten, sich mit VeranstalterInnen zu treffen, den direkten Austausch zu pflegen und auf der Bühne sitzen zu dürfen“. Er genießt es, auf diesem Weg viel herumzukommen, will diesen Teil seiner Arbeit andererseits aber auch nicht überstrapazieren:

„In diesem Jahr sind schon 30 Termine fix und es werden noch mehr dazukommen… Im Frühjahr werde ich zwei Monate, im Herbst einen Monat lang unterwegs sein. Das reicht dann wieder für eine Weile. Trotzdem liebe ich vor allem den Kontrast zwischen den beiden Welten Schreiben und Präsentieren.“

Vor allem Eindrücke, „die den normalen Alltag durchbrechen“, machen für Aichner den Reiz dieses Unterwegsseins aus:

Präsentierst du dich auch selbst?

Heutzutage geht es nicht mehr, sich als Autor NICHT auch selbst zu präsentieren, mit den Medien gar nicht zu kommunizieren. Der Text allein ist heute zu wenig. Früher war das noch Usus, den Text gewissermaßen auch für den Autor sprechen zu lassen. Heutzutage sind Verlage wirtschaftlich geführte Unternehmen, die nicht Geld machen, um Bücher zu produzieren, sondern die Bücher produzieren, um Geld zu machen. Dass ein Verlag nicht reine Liebhaberei betreibt, ist ja auch verständlich. Nichtsdestotrotz gibt es wohl immer noch tolle AutorInnen, die nicht vorlesen wollen, die mit JournalistInnen nicht reden wollen, die Mails nicht beantworten und einfach nicht erreichbar sind. Das mag einerseits einen gewissen Reiz ausüben, andererseits kann man sich das heute nicht mehr leisten.

Wie stehst du zur Selbst­Inszenierung in Social Media?

Ich war vor ungefähr zwei Jahren auf einer AutorInnentagung in einem Vortrag über Social Media für AutorInnen. Ich halte es seitdem für unumgänglich, sich als Autor ein Facebook-­Profil anzulegen. Auch mein neuer Verlag hat sich gleich mal mein Profil angeschaut. Eine Homepage allein ist heute zu wenig. Man muss sich also öffnen. Trotzdem ist und bleibt es aber die eigene Entscheidung, wie viel man von sich preisgibt. Es geht ja um mein Schreiben, meine Bücher und um mich als Autor, nicht etwa um meine Familie und meine Kinder. Die Vernetzung durch Facebook ist wichtig und eine tolle Möglichkeit. Und man muss aufpassen, dass man als Autor nicht in Vergessenheit gerät. Wenn man etwa vier Jahre auf ein neues Buch warten lässt, ist es schwierig, wieder einzusteigen. Man muss sich an den Literaturbetrieb bis zu einem gewissen Grad anpassen, mitmachen und mitmischen.

Ist diese Unumgänglichkeit, sich in der Öffentlichkeit zu präsentieren, auch mit Druck verbunden?

Dieser Druck gehört dazu. Und es kann auch Spaß machen. Lesungen zu machen, Kontakt mit LeserInnen zu haben. Es gehört zu diesem Job dazu. Ich muss als Autor, dessen Bücher von einem Verlag vermarktet und verkauft werden, entscheiden, ob ich präsent sein will, genauso wie ich für mich abklären muss, ob ich innerhalb eines Jahres – wenn es der Verlag verlangt – ein neues Buch schreiben kann und will.

Heutzutage gibt es ja auch Möglichkeiten, sich selber zu verlegen. Wie stehst du dazu?

Im Print­-Bereich war Self Publishing bis vor ein paar Jahren ein Todesurteil für jede/n AutorIn. Das hat keiner ernst genommen. Mit e-­book Self Publishing haben einige hingegen tolle Erfahrungen gemacht. Nele Neuhaus zum Beispiel hat ihr Buch im Eigenverlag herausgegeben. Sie hat selbst mehrere tausend Exemplare verkauft, bis Ullstein angeklopft hat. Ich finde es gut, dass es nicht mehr so verpönt ist, ja dass es möglich ist, selber zu publizieren, ich aber möchte nicht auf einen Verlag verzichten. Die Qualität eines Buches, einer Veröffentlichung, hängt von einem guten Lektorat und jemandem, der sich im Marketing auskennt, also einer guten Presseabteilung, ab. Ich selber bin da ganz und gar kein Profi.

Für Bernhard Aichner ist ein Verlag „ein bisschen wie Heimat“, etwas, worauf man als AutorIn vertrauen kann. Aber auch ein großer Publikumsverlag kann Bücher elektronisch publizieren. Aichner ist demgegenüber positiv eingestellt, er sieht darin „eine tolle Möglichkeit, noch weitere LeserInnen zu erreichen“.

Ein Aussterben gedruckter Bücher befürchtet Aichner trotz der neuen Entwicklungen am Buchmarkt nicht:

„Es werden immer weiter Bücher gedruckt werden, eigentlich fast zu viele. Man braucht sich nur in den Buchläden umzusehen.“

Vielmehr würden die Intervalle zwischen den veröffentlichten Werken immer kürzer. Die Bücher lägen nur noch drei, vier Monate im Buchladen, bevor Neuerscheinungen ihnen schon den Platz strittig machten.

Aichner besitzt keinen e-­book-­Reader, er kauft lieber gedruckte Bücher. Doch zum Lesen kommt er selten. Leider, wie er sagt. Er informiert sich, was auf dem Markt los ist, schmökert kurz rein in die Bücher, taucht dann aber wieder in sein eigenes ab.

„Mit dem neuen Buch wollte ich mich von schon Vorhandenem unterscheiden. Wie schreibe ich einen modernen Bestseller? Ich wollte eine gute Geschichte erzählen, die so noch nicht existiert, die anders ist. Meine Heldin ist Bestatterin und Serienmörderin, eine Rächerin. In der Literatur wie auch in der Realität gibt es so gut wie keine bekannten Serienmörderinnen. Meine Heldin ist zudem noch sehr nett, man verurteilt sie nicht, zittert mit ihr mit, während sie tötet. Es gibt keinen klassischen Krimi-­Aufbau mit Auflösung in meinem neuen Buch.“

Es werden nach Aichner nur wenige Krimis aus der Sicht des Täters/der Täterin geschrieben. In seinem neuen Roman aber erfahren die LeserInnen vom ersten Kapitel an, dass seine Heldin, Blum, die Böse ist.

Trotz des brisanten Themas der Selbstjustiz (die Totenfrau rächt sich indem sie Täter richtet) hat er keine Angst, dass seine Inhalte zu ernst genommen werden könnten. Da sei der oft unreflektierte Fernsehkonsum wesentlich gefährlicher.

„Man soll sich im Schaffen von Kunst niemals über ernste Themen lustig machen. Man muss sich fragen: Wieviel ist gut für mich? Wie weit will ich gehen? Die Szenenausgestaltung in den Büchern Sebastian Fitzeks zum Beispiel ist mir persönlich schon zu viel. Da bekomme ich Albträume. Auch der österreichische Autor Andreas Gruber ist privat so ein netter Mensch, aber seine Bücher sind mir zu heftig. Die Tatsache, dass etwas passiert in meinem Buch, reicht mir persönlich schon. Ich deute teilweise nur an. Ein bisschen ist genug, auch damit ich selbst keine Angst bekomme. Ich muss Gewalt nicht aus-­beschreiben.“

Genausowenig wie Bernhard Aichner Gewaltszenen bis ins Detail aus­-beschreibt, werden in seiner Literatur Figuren gezeichnet. Diese interessante Art der Figurengestaltung erklärt er folgendermaßen:

„Vielleicht hat mich bei anderen Büchern gestört, dass Figuren und Landschaften so ausgeschmückt werden, mir dadurch etwas genommen, meine Fantasie beschnitten wird. Deshalb mache ich das nicht. Ich frage mich immer wieder: Wie viel vom Optischen braucht es, um eine Figur lebendig werden zu lassen? Die Heldin in Totenfrau wird gar nicht beschrieben, man erfährt nur, dass sie schön ist. Jede/r kann für sich entscheiden, was schön für sie/ihn bedeutet. Blum hat ein großes Herz. Ich beschreibe, was sie fühlt und denkt. Über Gefühle beschreibe ich Menschen, ja sogar Landschaften. Vielleicht handhabe ich das in zehn Jahren anders. Aber bis jetzt hat es sich bewährt. Ich habe die Optik der Figuren selbst auch nicht im Kopf. Ich sehe aber, wie sie dasitzen und weinen. Ich weiß, wie das Innenleben aussieht, das ist das Wichtigste. Es hat sich noch nie jemand darüber aufgeregt, dass meine Figuren nicht aus-beschrieben werden. Es scheint also zu funktionieren.“

Im dritten und letzten Teil unseres großen Schriftsteller-Porträts spricht Bernhard Aichner mit uns über seine Beziehung zu Innsbruck alias Provinnsbruck. Dazu wird auch das Medium Film zum Einsatz kommen.

Infos zu und über Bernhard Aichner sowie alle Lesetermine in eurer Nähe findet ihr unter:

www.bernhard-aichner.at

Eine Reportage von Anja Larch und Barbara Zelger.

Barbara Zelger

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