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TOTENFRAU. Ein Tiroler Krimi erobert den internationalen Buchmarkt. Bernhard Aichner – ein Porträt und Interview. Teil.EINS: Der Bildersammler

Am 10. März erscheint sein neues Buch Totenfrau. Nicht nur seine bisherigen treuen LeserInnen, auch unzählige Fans des unkonventionellen Krimis, ein beachtlicher Facebook-Followerkreis, seine Verlegerin, AutorkollegInnen, BuchhändlerInnen und KritikerInnen warten gespannt darauf. Er versteht es, Menschen in atemloser Spannung zu halten.

Die Leidenschaft für das Schreiben packte Bernhard Aichner schon als Jugendlicher. Damals war es für ihn vor allem eine Möglichkeit, aus seiner engen Osttiroler Welt zu fliehen. Der Wunsch, Schriftsteller zu werden, klang für sein Umfeld dort in etwa so wie der Ausspruch „Ich will Astronaut werden!“. Vergangenen Mai, als er seine schriftstellerischen Anfänge mit diesem Vergleich im Krimi-Workshop der LiteraTour am Achensee beschrieb, huschte ein Lächeln über sein Gesicht. Heute ist er überzeugt davon, dass man alles, wirklich alles (!) schaffen kann, wenn man nur fest genug daran – und an sich – glaubt.

Später, schon während seines Germanistik-Studiums, wurde Aichner Fotograf, entdeckte sein Talent dafür, auch die existierende Wirklichkeit um sich herum auf Bildern einzufangen. Nebenbei hörte er nie auf, andere, selbst erfundene Wirklichkeiten aufs Papier zu bringen.

Mittlerweile schaut es so aus, als würde er international durchstarten. Das ist nicht zuletzt Verdienst der Totenfrau. Der Erfolg seiner regionalen Krimis rund um den Totengräber Max Broll wird durch sein neuestes Werk noch getoppt – einen Thriller, der in Innsbruck, München, Triest und Wien spielt, ein „Hammerbuch“, wie der Stern vorab rezensiert hat.

Bernhard.Aichner.Totenfrau

Tellerklappern, Kaffeeduft, Teelöffel, die gegen Tasseninnenwände schlagen, Zeitungsgeraschel, Plaudernde, … ein Schreibender (am Laptop tippend) – wir treffen Bernhard Aichner im Café Central, einem seiner Arbeitsplätze. Besonders vormittags ist er hier häufig anzutreffen, er genießt es, seiner Tätigkeit im öffentlichen Raum nachzugehen.

Totenfrau erscheint im btb-Verlag. Bisher veröffentlichte Aichner im Skarabäus– und Haymon Verlag in Innsbruck. Der Wechsel zu einem großen deutschen Publikumsverlag war für seinen Werdegang fast eine notwendige Konsequenz:

„Ich liebe die Fotografie und werde auch weiter als Fotograf arbeiten, aber ich möchte vom Schreiben leben können. Deshalb dieser Schritt. Im Vergleich zu den österreichischen Verlagen haben die deutschen Publikumsverlage ganz andere Möglichkeiten in Marketing, Vertrieb, Verkauf. Um sich seinen Lebensunterhalt mit Schreiben verdienen zu können, müssen sehr, sehr viele Bücher verkauft werden. Immerhin bekommen AutorInnen nur 10% des Buchpreises.“

Im letzten Jahr hat sich also sehr viel getan in Bernhard Aichners Schriftstellerleben: „Es ist alles sehr schnell gegangen.“ Nach seiner erfolgreichen Bewerbung bei Literaturagenturen in Deutschland hat er seinen neuen Verlag gefunden. An und für sich schon ein toller Erfolg. Doch damit nicht genug: Jeden Monat ist in der Folge etwas Neues passiert. Ende des letzten Jahres wurde bereits das Hörbuch im Hörverlag aufgenommen: Christian Berkel verleiht Aichners Figuren ganz besondere Stimmen, den Stimmen spezielle Färbungen, den Situationen eigene Stimmungen. Die Aufnahmen für das Hörbuch der Totenfrau in Berlin waren für Bernhard Aichner ein einmaliges Erlebnis:

„Man liest normalerweise ja immer selbst. Doch plötzlich ist da ein Profi, der deinen Figuren Leben einhaucht, der perfekt lesen, ja spielen kann. Es ist unglaublich, was das für einen Unterschied macht, wie das klingt.“

Totenfrau spielt hauptsächlich in Innsbruck, der Tiroler Dialekt wird allerdings nicht imitiert. Wir spüren, wie begeistert Aichner ist, wie neu und spannend es für ihn ist, seinen Text aus dem Mund eines anderen zu hören.

Anja.Barbara.Aichner

Auch zahlreiche Übersetzungen wurden bereits verkauft, was vor Erscheinen des Buches nach wie vor eine Ausnahme ist. Die Bücher von Sebastian Fitzek zum Beispiel wurden erst nach mehreren tausend verkauften Exemplaren ins Englische übertragen.

Doch zurück zur Entstehung der Werke Aichners und ins Café Central. Der romantischen Vorstellung, in einer Art Atelier in einer Dachkammer ein Blatt nach dem anderen vollzuschreiben, kann er nichts abgewinnen.

Fühlst du dich denn einsam, daheim im „stillen Kämmerlein“?

Ja, manchmal. Schreiben ist ja eine sehr stille, eben auch einsame Arbeit. Man ist zwar mental mit den Figuren zusammen, aber physisch befindet man sich allein am Schreibtisch. Ich komme deshalb sehr gerne hierher ins Central, wo es um mich herum von Menschen wimmelt. Ich genieße es, ein bisschen beobachten zu können, während des Tippens immer mal wieder einen Blick auf einen anderen Tisch zu werfen, verschiedene Gesichter zu sehen, aber trotzdem immer hier bei mir mit meinem Text zu sein. Ich höre dabei immer Musik, habe Kopfhörer im Ohr. Während der Arbeit an einem Roman höre ich immer wieder dieselben drei Lieder, in Endlosschleife sozusagen. Dadurch bin ich gleichzeitig ganz weit weg, obwohl ich unter den Menschen bin. Diesen Kontrast finde ich sehr spannend.

Kann man diese Arbeitsweise als eine Art öffentliches Schreiben bezeichnen?

Ja, vielleicht. Das, was ich schreibe, gehört aber trotzdem mir, ist meines in diesem Moment des Erfindens. Nur ich habe damit zu tun, die Menschen um mich herum wissen nicht, was da im Entstehen ist. Erst dann, wenn es gedruckt ist, ist es das von vielen. Anfangs ist es etwas sehr Intimes. Es ist schön zu erleben, wie der Text anfängt zu klingen, wenn sich die Wörter aneinanderreihen, wie daraus letztendlich Musik entsteht. Wenn ich spüre, dass der Text einen Rhythmus bekommt, ein Tempo, wenn deutlich wird, dass die Geschichte funktioniert. Das ist dann wundervoll, und man sieht es vielleicht in meinem Gesicht, wenn ich im Central sitze, mir ein Bier bestelle und in Gedanken mit all meinen LeserInnen darauf anstoße.

Die Musik hilft dir, bei dir zu bleiben. Könntest du auch mit dem Stimmengewirr um dich herum arbeiten?

Auch das geht. Die Stimmen sind in der Summe ja auch Musik irgendwie. Eigentlich kann ich immer und überall schreiben. Das ist ein Glück, sonst hätte ich in den letzten Jahren wohl kein einziges Buch geschrieben. Die Fotografie. Die Kinder. Familie. Liebe. Man muss das schon sehr wollen, um es auch wirklich durchzuziehen. Also, Musik ins Ohr und dahin geht’s. Musik bringt mich dazu, komplett abzutauchen. Ich finde das sogar ein bisschen meditativ. Eben wie im Wasser unterzutauchen.

Wie entstehen deine Geschichten? Inwiefern beeinflussen dich dein Umfeld und die Menschen um dich herum?

Auf jeden Fall fließen sie ein in meine Arbeit. Ich bin der Typ Schreiber, der sich vorher viel überlegt. Es gibt ja auch Leute, die einfach drauflos schreiben. Sie wissen noch nichts von der Geschichte, schreiben aber einfach, und das Textgebilde wächst und wächst. Ich weiß schon vor dem Niederschreiben, was passieren wird, wie die Charaktere der Figuren sind, in welcher Zeit meine Handlung spielt und wie ich sie erzählen werde. Also alles, was für die Geschichte wichtig ist. Da fließt viel von dem ein, was ich in meinem Alltag sehe und höre und lese und beobachte. Ich glaube, dass das fast so sein muss. Man lernt zwar als Literaturwissenschaftler, dass nichts autobiografisch ist, wo nicht Autobiografie drauf steht – das empfinde ich aber als Unsinn. Man kann als Autor immer nur das schreiben, was man fühlt oder selbst einmal durchlebt hat. Im Moment des Beschreibens ist die Situation meine ganz eigene Erfahrung. Wenn in meiner Geschichte beispielsweise eine Frau weint, weil sie ihr Kind verloren hat, versuche ich zumindest, das nachzuempfinden, dem Gefühl so nah wie möglich zu kommen. Insofern sind das dann meine persönlichen Gefühle, die ich da hineinprojiziere. In diesem Sinne ist Schreiben auch eine Art Psychotherapie: Es legt Dinge frei, zeigt dir, wie du bist, was alles mit dir zu tun hat. Mein Schreiben hat mir sehr viel über mich selbst beigebracht. Warum interessiert mich das oder jenes, wie beschreibe ich es? Es ist sehr spannend, sich dadurch selbst näher kennenzulernen.

Beeinflusst dich auch dein unmittelbares Umfeld?

Bestimmt. Es passiert, dass ich unbewusst Dinge aufnehme. Ich bin ja auch als Fotograf tätig und deshalb genaues Hinschauen gewohnt. Das hat mein Schreiben beeinflusst. Ich schaue etwa kurz nach links und sehe etwas, nehme es aber vielleicht gar nicht bewusst wahr. Das klebt sich dann aber in mir fest, ist da und irgendwann kommt es heraus. Ich bin ein Bildersammler, weil ich mit offenen Augen dasitze und durch die Welt gehe. Irgendwann hole ich die Bilder dann ab, oder sie holen mich ab, und ich übersetze sie in einen Text.

Wie sehr haben dich deine eigenen Lektüreerfahrungen beeinflusst? Welche Bücher haben dich geprägt?

Was hast du als Kind gelesen?

In Teil.ZWEI unseres Porträts werdet ihr erfahren, was Bernhard Aichner jungen AutorInnen rät und wie er zum Thema Selbstinszenierung und Self Publishing steht. Ihr dürft gespannt sein!

Weitere Infos und die Lesetermine in eurer Nähe findet ihr schon mal unter:

www.bernhard-aichner.at

Eine Reportage von Barbara Zelger und Anja Larch.

Anja Larch

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