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ProvInnsbruck-Blogwerkstatt: Creative Free Writing

Als praktischen Einstieg in unsere Blogwerkstatt wählten wir eine Phantasieübung nach Keyserling (1983), bei der der Beginn eines „Märchens“ als Reiz vorgegeben wurde. Die Situation sollte zunächst in „aktiver Imagination“ vorgestellt werden, dann sollten drei Minuten „freier Phantasie“ folgen. Die Übung sollte durch das „Erzählen der Vision“ ihren Abschluss finden. Alle TeilnehmerInnen erhielten also den Anfang eines Textes. Ziel der Übung war es, die Freude am Schreiben anzuregen, Schreibhemmungen zu überwinden und der Kreativität freien Lauf zu lassen. Hier einige der sehr authentischen Ergebnisse:

Blogwerkstatt

Textanfang 1:

Ich bin in einem dunklen Wald, an einem Kreuzweg. Ich höre Pferdegetrappel, ein Pferd kommt näher aus der Richtung des Waldes. Es ist ein Reiter mit Purpurmantel; beim Näherkommen erkenne ich ihn als Skelett mit Krone. Er beugt sich vom Pferd und bietet mir einen goldenen Kelch. Was mache ich?

Und so geht die Geschichte weiter in den Worten von Bürgermeisterin Christine Oppitz-Plörer:

Es ist so, wie die junge Frau es mir beschrieben hat, welche ich beim Verlassen des Schlosses am Schlosstor zuletzt gesehen habe. Der Kelch ist mit Wasser gefüllt, Wasser aus dem See nahe der Hütte im Schlosspark. Ich nehme den goldenen Kelch, trinke das Wasser, es schmeckt eigenartig aber vertraut, auch ganz so, wie es die junge Frau beschrieben hat. „Hab keine Angst“, diese Worte des Skelettes mit der Krone gehen durch Mark und Bein. Als der Kelch geleert ist, ist auch der Reiter mit Purpurmantel in der Dunkelheit des Waldes verschwunden, einzig ein heller Lichtpunkt über den Bäumen ist plötzlich da und gibt Freude im Herzen. Ich gehe mit dem Kelch den Weg weiter, bis ich zu den einsamen alten Häusern mit den wenigen Bewohnern komme. Und da passiert mit dem Kelch etwas Unerwartetes…. jeder Mann und jede Frau, die den goldenen Kelch sehen und fühlen und das Wasser trinken, sehen …. ja, was sehen sie denn?!?!!?

Oppitz-Plörer Blogwerkstatt  IMG_9252

Textanfang 2:

Ich stehe vor einem Hügel, eine Freitreppe führt hinauf, ich schreite hinauf, oben steht ein Glasschloss. Ich gehe hinein in einen gläsernen Saal, in ihm ist ein runder Glastisch, umgeben von neun leeren Stühlen. In der Mitte steht eine Kristallvase, darinnen ist ein Same oder eine Frucht oder Verschiedenes. Ich esse Same oder Frucht. Was geschieht mit mir?

Maria Zelger führt den Text folgendermaßen fort:

Ich versuche, Geruch und Geschmack der Frucht in mich aufzusaugen. Was kann das wohl sein? Es muss sich auf jeden Fall um etwas Besonderes handeln, ansonsten hätte ich mich sicher nicht so abmühen müssen, um zum Inhalt der Kristallvase zu gelangen. Der Geruch der Frucht ist holzig-nass und leicht süßlich, der Geschmack übertrifft den Geruch in seiner Intensität und die Frucht schmeckt auch besser als sie aussieht. Ich verkoste das saftige Fruchtfleisch, lasse es auf dem Gaumen zergehen und schließe die Augen. Das anfänglich Süße der Frucht geht über in einen bitteren Geschmack – ein bitterer Nachgeschmack sozusagen. Ich lasse die Augen geschlossen, den Tag Revue passieren und fange an zu träumen…

M Zelger Blogwerkstatt

Textanfang 3:

Ich stehe in einem Zimmer und betrachte mein Bild in einem Spiegel. Wie bin ich gekleidet, genau so wie jetzt, bin ich älter oder jünger? Ich gehe durch den Spiegel. Was finde ich auf der anderen Seite?

Der Text wird von Chris Steeg auf diese Weise ausgestaltet:

Was finde ich andererseits? Sterntaler sind out. Goldendress ist out. Schalfetzen bleiben an den Spiegelscherben hängen. Gerade noch mal durchgeschrammt, denk ich grad und wer holt nun die Kehrschaufel, denn Staubsaugen funktioniert bei diesen Monsterspiegelscherben nicht. Puuhh, wem gehören diese großen Füße da in der großen Scherbe mit dem kleinen Kopf am Ende? Muss wohl einer aus dem Ufoland sein, hat mit mir rein gar nix zu tun. Ich hatte ja frisch gebügelte Hosen an, dieser Figur da hängt die zerschnittene Hose vom Bein. Fransen von der Länge eines Rettungsseils – help help!

Steeg Blogwerkstatt       Steeg2 Blogwerkstatt

Innerhalb weniger Minuten wurden Texte mit beeindruckenden Erzählstrukturen verfasst. Nur ein kleiner Impuls genügt, um große Textwelten im Kleinformat entstehen zu lassen: Neue Texte aus Innsbruck, die gebloggt sein wollen!

Barbara Zelger

One Comment

  1. Wie vom Donner gerührt starre abwechselnd den Kelch und das Skelett an. Kann es wirklich so einfach sein? All die Sitzungen, die Bestprechungen, die schlaflosen Nächte – umsonst. Langsam lichtet sich der Nebel in meinem Gehirn. Das Volk, mein Volk wird genesen, mein Volk wird der Bestie, sie sie seit Urzeiten gefangen hält entkommen. Ich zücke meinen Notitzblock und beinahe wie von selbst formen sich die Buchstaben zu den Sätzen der neuen Eu-Alkoholrichtlinie.
    Künftig sollen auf allen Weinflaschen mindesten 60% der Obererfläche mit einem Skelett und dem Schriftzug „Trinken tötet“ bedeckt sein.

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