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„Niemand darf das je lesen“ – Also hört gut zu.

Tagebücher hüten für gewöhnlich Geheimnisse, manche werden dazu sogar mit einem Schloss versperrt. Die gebürtige Tirolerin Diana Köhle pfeift auf diese Konvention und lädt Publikum dazu ein, sich aus Tagebüchern vorlesen zu lassen. Vor einem Monat fand der so genannte „Tagebuch-Slam“ zum ersten Mal in Innsbruck statt – und war ausverkauft. Morgen um 20.05 Uhr ist es wieder soweit.

Treibhaus. Sonntag, 20.30 Uhr. Auf einem Polstersessel, im Zentrum der Bühne, mit Teppich vor den Füßen, im lauschigen Licht einer Vintage-Stehlampe sitzt David mit einem alten, mit Leder bezogenen Büchlein in den Händen:

6.11.2001. Zööörvs Tagebuch! Also Leute, es ist wieder Dienstag, das heißt ein offizieller Frag-Dr. David-Erklärtag. Also muss heute etwas erklärt werden. Frage Nr. 1 lautet: Warum fanatle ich so in die Carina S. und wie sieht es mit den anderen Mädchen aus? Frage Nr. 2: Wer hat zurzeit die coolsten Busen, wer den feschesten Hintern?

Das Publikum, ab dem ersten vorgelesenen Wort schmunzelnd, prustet los. David selbst grinst. Der Spaß geht auf seine Kosten, besser gesagt, auf die seines 13 Jahre jüngeren, pubertären Ichs, und er findet das gut. Er liest, mit Mikro verstärkt, aus seinem früheren Tagebuch vor, ist der erste Vortragende des Abends. Das Publikum wartet gebannt auf die nächste Pointe. Der Eintrag endet mit den Worten: „Niemand darf das hier je lesen.“

Tagebuch.Slam

Original-Texte

Das, was man zu hören kriegt, ist authentisch, sind die originalen Ergüsse eines ehemals 15-Jährigen. Böse Zungen könnten die Show als „Seelen-Striptease“ bezeichnen, der als hippe „Kunst“ verkauft wird. Diesen Anspruch hat das Vorgetragene aber gar nicht.

Ähnlich wie beim klassischen Poetry-Slam treten jeweils zwei Leute gegeneinander an, drei von sechs kommen ins Finale, am Schluss bleibt einE GewinnerIn übrig. Alle Entscheidungsgewalt liegt dabei beim Publikum, das mit starkem oder weniger starkem Applaus sein Votum abgibt. Mehr um Inszenierung als um Inhalt geht es aber trotzdem nicht, das Konzept des „Tagebuch-Slams“ ist ein völlig anderes, so David:

Ich war sofort angetan von der Idee, mit ‚wirklichen‘ Gedanken fremder Leute in Kontakt zu kommen. Anders als beim Poetry-Slam, dessen Texte oft sehr gewollt sind, in erster Linie auf Wirkung abzielen und thematisch meist in die selbe ‚Weltverbesserungs-Kerbe‘ hauen, geht es hier um echte, ja ‚autobiographische‘ Beiträge.

Auch laut Diana Köhle, „Mutter“ der Idee, und seit zwei Jahren Organisatorin und Moderatorin der Slams in Wien, sei das Vorgetragene einfach „ehrlich, berührend, schonungslos“. Und kommt wohl so vielen im Publikum bekannt vor, die sich in ihrer Jugend über genau die gleichen Dinge den Kopf zerbrochen haben.

Neben der Authentizität der Texte sei der große Erfolg des Konzepts vor allem mit „dem Reiz des Verbotenen“ zu erklären:

Alle, die im Publikum sitzen, sind Voyeure und haben früher einmal die Tagebücher ihrer größeren oder kleineren Geschwister gelesen. Oder sie wollten sie lesen, durften aber nicht. Jetzt dürfen sie im Publikum sitzen und lauschen“, so Köhle.

Wer auch zum Voyeur werden will, der begebe sich morgen Abend, Sonntag, 8.11.2015, zum zweiten TAGEBUCH-SLAM ins Treibhaus – diesmal wird der Turm belesen.

http://www.treibhaus.at/programm (es empfiehlt sich, Karten vorab zu reservieren)

https://www.facebook.com/tagebuchslam/

Anja Larch

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