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Künstlerisch-kritische Weihnachten: Auch noch ein Geschenktipp zum Fest

Rechtzeitig im Herbst erschien im transcript Verlag ein Sammelband, der nicht nur vielen Gabentischen als Päckchen zu wünschen ist, sondern ein in dieser Form nicht nur für Innsbruck einmaliges Projekt dokumentiert. Einmalig, weil es von Studierenden über einen langen Zeitraum auch im für gewöhnlich engen Rahmen der nach-Bologna-Studienordnungen realisiert werden konnte, einmalig aber auch, weil es in seinem Themenbereich eine bisher sicher wenig dargebotene Bandbreite präsentieren kann.

„K(uns)t als gesellschaftskritisches Medium“ ist nach Selbstauskunft der Herausgeberinnen „Resultat einer fast dreijährigen intensiven Auseinandersetzung mit diesem aktuellen und gesellschaftspolitischen Thema. Es war unser Anliegen, Akteur/innen ganz unterschiedlicher Felder zu gewinnen, um in diesem Gemeinschaftsprojekt schwierige Fragestellungen und Herausforderungen zu fokussieren und die Dynamiken der gegenwärtigen politischen, sozialen, kulturellen und ökonomischen Debatten zu thematisieren und zu reflektieren.“

Der Band dokumentiert unmittelbar ein trans-disziplinäres und über das „rein“ Universitäre hinausreichendes Symposium im Sommersemester 2017 in Innsbruck, verbunden mit einer Ausstellung im styleconception.openspace, einem Konzert So klingt Kritik in der  Bäckerei, sowie Performances und Aktionen von Franz Wassermann. Streetnoise Orchestra und dem Literaturclub Cognac&Biscotten im öffentlichen Raum mit Teilnehmenden aus dem akademischen, künstlerischen und aktionistischen Bereich ergänzten das Symposium.

Die im vorliegenden Band versammelten Beiträge beschäftigen sich so mit Themen, die von der ökonomischen sprich prekären Situation von Kunstschaffenden über die Rolle des Volksliedes in politischen Bewusstwerdungsprozessen, den Erbschaften des NS-Regimes bis hin zu politischen Dimensionen der Slam Poetry und des HipHops und der Schnittstelle von Religion und Gegenwartskultur reichen.

Konstantin Wecker brachte auf der öffentlichen Präsentation des Bandes via Videobotschaft einmal mehr das Moment des „Poesie ist Widerstand“ ein. Wer Kunst als gesellschaftskritisches Medium für möglich hält, ist anno 2018 in der Regel wenigstens mittelbar durch lange Prozesse durchgegangen, Kunst selbst als Legitimationswaffe der herrschenden Verhältnisse oder als elitär überhöhte visuelle Kommunikation zu kritisieren.

In Zeiten, in denen nun diejenigen die Verhältnisse beherrschen, die sich schon immer gerne missliebige Kunstschaffende als Feindbild herausgegriffen haben und sich von einer konservierenden und desorientierenden Standpunktkritik – die auch gerne als „Standpunkt der Kritik“ daherkommt –  frech und gelassen bedienen lassen, tut die Reflektion auf das kritische Potenzial von Kunst umso mehr Not, und hoffentlich den zu Kritisierenden auch weh.

Über das, was in diesem Medium und in der Begegnung von Kunst, Wissenschaft und Aktivismus in und abseits von den zugehörigen „Betrieben“ möglich ist, gibt der Band einen sehr guten Überblick,  und über das, welche gemeinsamen Prozesse es brauchen wird, um darauf aufbauend weiter zu gehen, sehr gute Anregungen. Nicht allein zur Situation in Tirol. Und nicht allein passend als Geschenk zu Weihnachten.

Michaela Bstieler/ Lena Ganahl / Elisabeth Hubmann / Denise Pöttgen / Siljarosa Schletterer (Hg.) Kunst als gesellschaftskritisches Medium. Wissenschaftliche und künstlerische Zugänge. Transcript-Verlag, 2018

Mit Beiträgen u.a. von Franz Wassermann, Chris Moser, Andrea Umhauer, Mieze Medusa, Andrei Siclodi, Noelia Bueno-Gómez, Sandra Hupfauf, Lukas Ladner, Kurt Drexel.

http://www.transcript-verlag.de/978-3-8376-4283-4/kunst-als-gesellschaftskritisches-medium/

 

Matthias B. Lauer

 

Gast

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