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Ich, Verdammt Beleidigt

Ich kann es immer noch nicht fassen, dass du mich einfach so stehen hast lassen. Einfach so. Du bist an mir vorbeigezogen, als würde ich für dich nicht existieren. Als wäre ich nichts für dich. Da stand ich, völlig aus der Puste und konnte dir nur noch nachschauen – atemlos und fassungslos.

Natürlich kannst du nicht immer jedem Dahergelaufenen die Tür zu deinem Inneren öffnen, aber ich bin es doch. Weißt du nicht mehr, wie viele Stunden wir zusammen verbracht haben? Jeden Tag waren wir zusammen unterwegs, manchmal gleich mehrmals. Und jetzt lässt du mich einfach so stehen?

Du weißt, dass ich immer Verständnis für dich hatte und mich im Zweifelsfall für dich eingesetzt habe, auch wenn andere immer nur geschimpft und gesudert haben. Ich stand hinter dir. Schließlich hattest du so viele Ziele, die du noch erreichen wolltest. Ich habe das verstanden. Und du sollst wissen, dass ich dich ganz bestimmt nicht aufgehalten hätte. Ich weiß doch, wie wichtig es für dich ist, im Leben möglichst schnell weiterzukommen.

Das Leben hat eben viele verschiedene Phasen. Mir ist jetzt klargeworden, dass für dich immer nur die nächste Grünphase gezählt hat. Sie war dir einfach wichtiger als ich. Aber mach dir bitte keine Sorgen um mich, ich habe mich jetzt weiterentwickelt. Ja, als ich so da stand, und dir nachschaute, wusste ich zuerst nicht weiter…

Doch dann wurde mir klar, dass es auch für mich Zeit wird, mein Leben in neue Bahnen zu lenken. Ich konnte einfach nicht mehr länger auf dich warten. Ja, so ist es. Und ich habe bereits eine Neue gefunden. Jawohl, eine sie. Ich bin weitergegangen. Weitergegangen bis zur Straßenbahnhaltestelle. Und ich fühle mich gut mit dieser Entscheidung. Bei mir ist jetzt alles auf Schiene. Ich wollte nur, dass du das weißt.

Vermutlich ist es dir egal, was aus mir geworden ist. Schließlich hast du mich nie richtig sehen können. Aber vielleicht, lieber Busfahrer, denkst du mal darüber nach, bevor du das nächste Mal einfach an der Haltestelle vorbeifährst, obwohl jemand frontal auf dich zugelaufen kommt und nicht mal mehr 5 Meter entfernt ist.

Liebe Grüße,

Ich. Verdammt Beleidigt.

Birgit Hohlbrugger

5 Comments

  1. Haha, Danke für diese amüsante Glosse! Wenn ich das nächste Mal im Regen stehe und der Bus an mir vorüber fährt, werde ich grinsen und trotzdem scheißsauer sein!!

    • Danke, freut mich sehr, dass ich dir sogar die ärgerlichsten Momente ein wenig versüßen konnte!

  2. Du kannst dich trösten, Birgit! Auch mir fuhr schon einige Male ein Buschauffeur vor meinen Augen davon.
    Aber anscheinend muss ein IVBler seine Fahrzeiten genau einhalten, da sonst nach und nach nachträglich noch mehrere Leute einsteigen wollten.
    Mehr als eine „korrekte Behandlung“ durch diese Berufsgruppe ist nicht vorgesehen.
    – {[(Anekdote am Rande: Vor Jahrzehnten gab es in Innsbruck einen vergleichsweise grantigen (einheimischen) IVB-Chauffeur, wegen dessen Unfreundlichkeit ich einem berüchtigten Tiroler Gegenwartsschriftsteller und Tirolsatiriker mein Herz ausschüttete. Der hielt mir jedoch entgegen: „Ja, will´sch du denn im Bus gefickt werden?“ – Diese überraschende ironische Frage kann jemand auch als rhetorische Frage auffassen, aber unbestritten ist, dass der Fahrpreis weder Horizonterweiterung durch gemütliche, unterhaltsame oder wie immer Gespräche mit Unbekannten inkludiert noch im Gegenteil erfolgreiche Abwehr dessen trotz SMS-Schreiben/ Lesen etc.)]} –
    Ich schätze allerdings, dass wegen der vielen (Regio-)Baustellen in der Stadt unsere BusfahrerInnen die dadurch eintretenden kleinen Verspätungen zügig wettmachen möchten.

  3. PS.: Dein Text – überraschende Auflösung & originelle, unkonventionelle Pointe 🙂

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