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Ich gehe, also bin ich – bis der nächste E-Scooter mich umnietet

Ich steige in den Bus ein, völlig unter Schock. Eins ist schon mal klar, das hätte mehr als übel ausgehen können. Aber alles der Reihe nach…Am Morgen dieses Tages, auf meinem Weg in die Arbeit, kommt es mir plötzlich so vor, als hätte sich die ganze Welt um mich ein bisschen verändert. Dieses Gefühl beschleicht mich in Innsbruck in letzter Zeit durchaus öfter, aber heute wirkt es geradezu so, als wäre ich das letzte Überbleibsel einer seltenen Spezies, die tatsächlich noch ausschließlich auf ihre eigenen zwei Beine setzt, um von A nach B zu kommen.

Ich gehe, also bin ich. Nur um mich herum scheinen plötzlich alle auf irgendeine Art von Zweirädern umgestiegen zu sein.Der Frühverkehr in der Museumstraße sieht auf einmal irgendwie futuristisch aus, wie sie da alle auf ihren Rollern herumgleiten, und ich muss sagen, ich bin fasziniert. Fasziniert und gleichermaßen deprimiert – komme ich mir mit meinen noch nicht ganz Mittedreißig doch irgendwie vor wie eine alte Frau, die die rasante Entwicklung der Technologie nicht mehr mitbekommt. Woher kommen über Nacht plötzlich alle diese Roller, warum scheint wirklich jeder einen zu haben und warum zur Hölle habe ich bloß von alledem so gar nichts mitbekommen?
Gedankenversunken gehe ich weiter, als ich bereits an der nächsten Straßenecke einen großen Bogen machen muss um solche Rollerdinger, die da aufgefädelt mitten in die Straße hineinstehen, sämtlichen Passant*innen im Weg. Die alte, grantige Frau in mir meldet sich wieder zu Wort: Alles Asoziale, da sieht man mal wieder, dass niemand mehr auf den anderen Rücksicht nimmt, Hauptsache jeder muss immer den neuesten Schnickschnack haben. Ich wusste zu diesem Zeitpunkt noch so gut wie nichts über den E-Scootertrend, aber mein Wissen sollte sich im Laufe desselben Tages noch rasant auf den neuesten Stand bringen. Denn die morgendlichen Gedankengänge waren längst vergessen, als ich am Abend aus dem Büro eilte, um den Bus vom Hauptbahnhof noch zu erwischen. Ich gehe also schnellen Schrittes auf den Bus zu , der schon bereitsteht und auf den Start wartet. Kurz bevor ich dort ankomme, zeigt die Anzeige 0 Minuten an, also renne ich los, um schnell noch durch die hinterste Tür ins Businnere zu springen, bevor sie schließt. Ich sehe schon, dass mir einige Leute entgegenkommen, da ich aber die Geschwindigkeit von Fußgängern gut einschätzen kann, ist klar, dass ich es locker schaffe, vor ihnen nach links abzubiegen zum Bus. Kaum kratze ich jedoch unvermutet die Kurve schießt aus der Menge ein Typ auf einem Roller direkt auf mich zu und schafft es gerade noch ganz knapp vor mir zu bremsen. Ich bin derartig erschrocken und schockiert, dass ich einen megalauten Schrei ablasse. Damit habe ich einfach nicht gerechnet. Und während ich da zitternd in den Bus einsteige, bin ich dem Typen unendlich dankbar, dass er so schnell reagiert und rechtzeitig gebremst hat. Nach so einem Frontalzusammenstoß wäre ich sonst vermutlich nirgends mehr eingestiegen. Nie wieder.ABER. Noch während ich mich halbwegs versuche zu beruhigen, werde ich richtig wütend. Warum fährt so ein Ding mitten auf dem Gehsteig? Warum fährt so ein Ding überhaupt unkontrolliert herum? Können alle, die damit rumfahren, auch damit umgehen? Ich beginne also eine Internetrecherche und erfahre dabei auf der Seite des ÖAMTC, dass so ein E-Scooter auf dem Gehsteig genau gar nichts verloren hat. Jetzt bin ich nur noch irgendwie wütend und die alte grantige Frau in mir feiert Hochkonjunktur.In den folgenden Wochen stolpere ich im wahrsten Sinne des Wortes dauernd über diese E-Scooter, die wirklich überall im Weg rumstehen. Und ich frage mich, ob die Welt das denn nun wirklich gebraucht hat. In Innsbruck gibt es mittlerweile den dritten Anbieter, dessen E-Scooter im Weg rumstehen, und so frage ich mich, ob eine Sportstadt (und ja, ich hasse den Begriff) wie Innsbruck das denn nun wirklich gebraucht hat. Zumal man ja gerade in Innsbruck sehr gut auch zu Fuß von A nach B kommt. So altmodisch bewege zumindest ich mich mitsamt meiner inneren alten Frau fort. Und nach meinem E-Scooter-Nahtoderlebnis genieße ich wirklich jeden einzelnen Schritt, den ich noch mache. Ich gehe, also bin ich – bis der nächste E-Scooter mich umnietet.
Von Birgit Hohlbrugger

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