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Hallo Weltverbesserinnen und Weltverbesserer

Auf vielfachen Wunsch hier die Rede, die ich gestern, 4. Oktober, beim Weltfest im Treibhaus gehalten habe. Es war schön zu sehen, dass es auch beim Weltfest, das ob der vielen Besucherinnen und Besucher das Treibhaus zu einem Ameisenhaufen macht, möglich ist, den Treibhaus-Turm zum Schweigen und Zuhören zu bringen.

Liebe Alle, hallo Gutmenschen. Hallo Weltverbessererinnen und Weltverbesserer.

Ja, wir sind gute Menschen. Und ja, wir wollen die Welt verbessern. Im Kleinen, wie im Großen. Wir unterschreiben Petitionen, machen einen „gefällt mir“-Klick wenn Hans Rauscher im Standard wieder etwas Harsches über die FPÖ schreibt, sind fassungslos über die Arbeitsbedingungen bei foxconn in China und rufen unsere Meinung darüber via i-phone made in china in die Welt hinaus, empören uns über die Abhörmethoden der NSA und werden Mitglied der facebook-Gruppe „Meine Daten gehören mir!“.

Vor Lampedusa ertrinken hunderte Menschen auf dem Weg in die vermeintlich bessere Welt – und ja, wir sind erschüttert. Zugleich aber auch scheinbar ohnmächtig, etwas dagegen zu unternehmen. Flucht ist Hoffnung, so lautet das Motto des heutigen Weltfests und es ist unfassbar, dass gestern so viele Hoffnungen in salzigen Wasser 800 Meter vor dem rettenden Ufer, ertränkt worden sind. Ich sage: ertränkt worden sind und nicht: sind ertrunken. Diese armen Seelen haben ihre ganze Hoffnung und die ihrer Familien in die Flucht aus dem Elend gesetzt – und wurden von einer völlig verfehlten Migrationspolitik aber auch einer sogenannten Entwicklungshilfspolitik wie von unsichtbarer Hand ertränkt.

So wenig Hoffnung kann Flucht sein, so flüchtig ist viel zu oft die Hoffnung.

 

Gestern beging Deutschland den Tag der deutschen Einheit, vor mehr als 20 Jahren wurde die Mauer niedergerissen – und es scheint, als ob die Einzelteile der damaligen Mauer in einen Kopierer gelegt, vervielfältigt und rund um Europa wieder aufgestellt wurden und werden. Die scheinbare Ohnmacht gegen diesen Wahnsinn macht mich wütend und traurig. Und ich frage mich: was kann ich als Einzelner, was können Menschen wie ihr, Menschen wie wir, dagegen unternehmen: Die Antwort darauf ist niederschmetternd: gerade einmal so wenig önnen wir dagegen tun. Nur so wenig. Und trotzdem lohnt es sich, für dieses Bisschen einzustehen, wie das auch viele von uns tun.

Dabei sind wir empathisch, wir kommunizieren gendergerecht und gewaltfrei, wir hören zu, tanzen Salsa oder Tango gehen einmal die Woche zum Yoga und sind meist gut gebildet, was in einem Bildungssystem wie dem unseren auch für Atheistinnen und Atheisten einem Wunder gleich kommt.

Wir sind klug, vielleicht auch gescheit – und doch drohen wir zu scheitern.

Wir drohen nicht zu scheitern, weil das, was wir tun, der Weg, wie wir uns ein Miteinander vorstellen etwa falsch wäre. Nein, mit Sicherheit nein. Es ist das einzig Richtige und doch machen wir Alle Wesentliches falsch:

So bunt das Weltfest seinen Stempel der grauen Betonwüste Innsbruck aufdrückt … So schön das Weltfest ins Treibhaus passt, in diese Stätte der gelebten kulturellen Offenheit im doppelten Wortsinn – genau so weltfremd ist es bei genauer Betrachtung, das Weltfest hier zu feiern. Denn diese unsere Welt ist für jene, die wir mit unserer Botschaft erreichen wollen, eine fremde Welt. Jene, die wir erreichen wollen, kommen nicht zum Weltfest ins Treibhaus.

Aber wir müssen sie erreichen: die Leserinnen und Leser der Kronen Zeitung. Wir müssen sie erreichen: die Wählerinnen und Wähler der FPÖ.


Wir müssen sie erreichen: die von SPÖ und ÖVP Frustrierten und Enttäuschten
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Wir müssen sie suchen und finden und bestärken: jene in SPÖ und ÖVP, die klar sagen: nein, wir kokettieren nicht mit einer verhetzenden FPÖ, nur um unseren Marktwert bei Koalitionsverhandlungen in die Höhe zu treiben.

Lasst sie uns suchen, die letzten Aufrechten in SPÖ und ÖVP – wir müssen nur lange genug suchen, dann werden wir sie auch finden.

 

Liebe ÖVP: für wie dumm hältst du die Leute? Glaubst du wirklich, dass dein doppeltes Spiel nicht längst durchschaut worden ist? Dein staatstragendes, christlich-soziales Gehabe mit gleichzeitigem laufenden Verschärfen des Fremden- und Asylrechts? Liebe ÖVP, nicht du als Partei, aber deine Politik ist zum Kotzen. Alleine 5 Verschärfungen des Fremdenrechts in den letzten paar Jahren. Dein abscheuliches Aussortieren von Syrien-Flüchtlingen nach guten Christen und schlechten Anderen.

Liebe SPÖ: für wie dumm hältst du die Leute? Glaubst du wirklich, dass dein doppeltes Spiel nicht längst durchschaut worden ist? Dein staatstragendes Gehabe mit gleichzeitigem Abbau des Sozialsystems? Liebe SPÖ, nicht du als Partei, aber deine Politik ist zum Kotzen. Alleine in Tirol gibt es bereits zehn Sozialmärkte!

Liebe Grüne: Ihr feiert euch als Wahlsieger. Wie bekifft muss man sein, um sich mit nicht einmal 13 Prozent bei einer Wahl als Wahlsieger zu fühlen? 12,4 Prozent. Jeder Südtiroler Edelvernatsch hat mehr Prozent.

 

Wir, und da nehme ich mich nicht aus, sind bequem geworden. Wir umgeben uns mit Gleichgesinnten, fühlen uns gut, wenn wir einen 20er (Innsbrucker Straßenzeitung, Anm.) kaufen, selbst wenn wir ihn nicht wirklich lesen. Aber der 20er liegt zuhause auf dem Couchtisch oder auf der Garderobe, damit allfälliger Besuch sofort sehen kann, wie weltoffen und tolerant wir sind. Wir wollen Bio und Co2-neutral einkaufen und zugleich auch natürlich billig und empören uns, wenn wir dann drauf kommen, dass Erntehelferinnen und Erntehelfer mit 3 Euro Stundenlohn abgespeist werden.

Als Gemüsebauer muss man offenbar ein Schwein sein, gell Schweinderl? Ja natürlich!

 

Wir meinen es gut mit den Schwächeren und fast Rechtlosen, die unter uns leben. Unter uns. Was für ein schrecklicher Begriff. Wie schön wäre es, wenn alle, von A bis Z, von Asylwerberin bis zum Zicchorieerntehelfer, hier bei uns auch MIT uns leben könnten. Dass sie einen Feierabend haben und keinen Heia-Abend, weil sie von der schweren Arbeit oder noch schlimmer: vom zum nix tun verdammt Sein müde sind.

 

Lasst uns heute ein rauschendes Fest feiern – und schon morgen auf die Suche gehen: nach einem Fan von HC Strache auf facebook und lasst uns ihm eine Freundschaftsanfrage schicken. Lasst uns ihn treffen und lasst uns verstehen, wie er oder sie tickt. Nur wenn wir das wissen, können wir ihnen auch Alternativen zeigen. Ein Löschen von der Freundesliste, weil jemand Fan von HC Strache ist genau so verlockend, wie kontraproduktiv.

Lasst uns morgen auf das Oktoberfest im Rahmen der Herbstmesse gehen und lasst uns einen der dort Schunkelnden und im Nicht-Takt-Klatschenden auf ein Bier einladen. Nur wenn wir wissen, warum sie schunkeln, können wir sie verstehen.

Lasst uns heute feiern und ab morgen darüber nachdenken, wie wir die Vielen, die mit dem jetzigen System nichts mehr anfangen können oder wollen, erreichen können. Geben wir den Schweigerinnen und Schweigern ihre Stimme zurück. Die Hetzer von morgen sind nur so stark, wie die Schweigerinnen und Schweiger von heute.

Markus Koschuh

5 Comments

  1. Kann ich nur unterschreiben und zustimmen, vor allem auch den letzten Satz "Die Hetzer von morgen sind nur so stark, wie die Schweigerinnen und Schweiger von heute."

    Oft beschleicht mich das Gefühl, dass viele, der angeblich Kritischen, Alternativen und Aufgeschlossenen sich vor allem selbst super finden. Vielfach schwimmen die Leute immer in der eigenen Blase, holen sich Bestätigung vom eigenen Freundeskreis und sind sehr intolerant und vorurteilsbehaftet, wenn die eigene – angeblich so linke – Weltsicht in Frage gestellt wird. Nur wehe, wenn ein bisschen mehr Engagement gefragt ist als ein "Gefällt-mir"-Klick – dann sind alle im Dauerstress und haben leider etwas anderes zu tun …

    Liebe Leute: Verlasst eure Blasen und konfrontiert euch mit der Wirklichkeit – hört auf, euch ständig gegenseitig auf die Schultern zu klopfen und stellt eure eigene kleine Welt auch mal in Fragen – es ist vielleicht nicht immer leicht, aber schlussendlich wird das Leben so viel spannender.

  2.  Hiermit bekommst du meine Unterschrift.
    Wir sind nicht in Minderheit 😉 und wir sind überall.

  3. Kann deine Worte nur unterschreiben.  Hoffentlich machen sie viele nachdenklich und auch betroffen – nachhaltig!

  4. Hinter jeder Wählerstimme steckt Angst.
    Wir müssen also die Ängste untersuchen und verstehen lernen.
    Ein sehr guter Text!
    Maria Peters

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