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Freie Kritik unter den Bedingungen der Innsbrucker Universitätsmühle

Auf den Universitäten nimmt eine sich als Avantgarde von Intellektuellen verstehende Minderheit des Volkes eine Vielzahl von Privilegien für sich in Anspruch. Dass sie mit ihrem Führungspersonal diese gebraucht, um unabhängig von ihrem Gefühlsleben die Wahrheit hinter den Kulissen der herrschenden Ideologie zu suchen und zu vermitteln, ist historisch gesehen nur selten der Fall. Sigmund Freud hat ausdrücklich davor gewarnt, die Intelligenz als selbständige Macht in der Welt der Interessen zu schätzen. Albert Einstein hat in seinem Briefwechsel mit Freud unter Berufung auf seine Lebenserfahrungen dem zugestimmt (1932).

Dem Autor dieser Zeilen wurde von einem Amtsträger der Universität Innsbruck mit Wikipedia als Referenz der Identitätsmarker „österreichischer marxistischer Historiker“ umgehängt (25. Oktober d. J.). Damit sollte eine eventuelle „Ausbürgerung“ aus der Universität wegen Verletzung ihrer hegemonialen Ideologie stimuliert werden. Dieses Denken ist an der Alma Mater Oenipontana nicht ungewöhnlich. Wissenschaftlich qualifizierte Persönlichkeiten wurden des Öfteren dorthin nicht berufen, wenn sie von der Universitätsprominenz als nicht passend beurteilt worden sind. Dem wissenschaftlich und populärwissenschaftlich schreibenden 78jährigen Autor wurde von Magnifizenz Tilman Märk höchstpersönlich ebenso schlagartig wie begründungslos sein bis 2023 genehmigter Universitätsaccount gesperrt und seine Bibliothekscard deaktiviert (28. Oktober d. J.). Nur mit rechtsfreundlicher Unterstützung von Alfred Noll ist es dem Autor ein paar Tage später gelungen, zu seinen auf diesem Universitätsaccount abgelegten eMails Zugang zu erhalten.
War für die Universität Gefahr im Verzug und für wen? Im Oktober d. J. ist es wegen einer nach Auffassung des Autors Verfremdung des Innsbrucker Universitätsdenkmals durch eine völlig überdimensionierte, den Blick notwendigerweise auf sich ziehende „Weiße Rose“ zu Diskussionen gekommen, die im „Der Standard“ Niederschlag gefunden haben. Die „Weiße Rose“ war das Symbol einer Münchner antifaschistischen Widerstandsgruppe, an welcher sich der im Herbst 1942 an der Innsbrucker Medizinfakultät inskribierte Christoph Probst aktiv beteiligt hat. Als Antifaschist und Kriegsgegner hat Christoph Probst Flugblätter gegen den Terror und die Kriege der Nazis verteilt. Beinahe wortgleiche Flugblätter der nach dem Überfall Deutschlands auf Polen (1. September 1939) aktiv gewordene österreichische Widerstandsgruppe „Soldatenrat“ hat die mit Probst gleichaltrige österreichische Arbeiterin Rosa Hofmann in Salzburg verteilt. Probst wurde von der deutschen Justiz am 22. Februar 1943 geköpft, Rosa Hofmann am 9. März 1943 in Berlin. Allein 17 jugendliche Angehörige des österreichischen „Soldatenrates“ wurden im Wiener Landesgericht geköpft.

 

Die Innsbrucker Universität fokussiert auf die Münchner „Weiße Rose“ und verknüpft ihr Gedenken mit der tugendhaften Losung „Niemals vergessen“. Eine „gute Absicht“ allein gewährleistet noch kein fortschrittliches Ergebnis. Die Barbarei der Gegenwart wird von der Universität ausgeblendet. Daran könnte aber die jetzt völlig überlagerte Gedenktafel für die beiden Patres Ignacio Ellacuría SJ und Segundo Montes SJ erinnern. Beide haben in Innsbruck Theologie studiert (WS 1958/59 bis SS 1962 bzw. WS 1961/62 bis SS 1964) und sind hier vom Tiroler Bischof Paulus Rusch zum Priester geweiht worden. Beide Jesuiten sind im Auftrag der materiell ökonomischen Eliten wegen ihres Einsatzes gegen Unterdrückung und Armut ermordet worden (16. November 1989). Wie Christoph Probst als Mitglied der „Weißen Rose“ oder Rosa Hofmann als Mitglied des „Soldatenrates“ wurden sie als Mitglieder der „Befreiungstheologie“ getötet. Sie alle galten als „Kommunisten“.

An den Universitäten gibt es alle möglichen Arten von Filtermechanismen, „um“, wie der US-Amerikaner Noam Chomsky feststellt, „Leute loszuwerden, die lästig sind und unabhängig denken. Jeder, der studiert hat, weiß, dass das Bildungssystem darauf ausgerichtet ist, Konformität und Gehorsam zu belohnen. Wer sich dem verweigert, ist bald als Querulant niedergemacht“. Diese Tendenz ist an den österreichischen Universitäten seit jeher die vorherrschende, auch wenn es aufgrund bestimmter historischer Bedingungen hie und da ein liberales und aufklärerisches Zeitfenster gegeben hat. Gerne erinnert sich der Autor an die Kanzlerschaft von Bruno Kreisky (1970 bis 1983), welches ein solches war.

„Was dürfen sich die Studierenden an Werten und Idealen von der Universität Innsbruck erwarten?“ – der Autor hat darüber 2002 in einem Gastkommentar der Innsbrucker Unipress so resümiert: „Mögen sich also die Studenten an der Universität keinen Illusionen hingeben! Vor allem mögen die Studenten, wenn ihnen von Seiten der Universitätskanzeln Werte und Ideale gepredigt werden, selbständig deren Funktion im historischen Prozess überdenken oder am besten überhaupt weghören“. Dieser Artikel wurde im Auftrag des damals amtierenden und mit allen nur möglichen Orden bedienten Rektors von der Rechtsabteilung der „Leopold-Franzens-Universität“ nach seiner „strafrechtlichen Komponente“ („Üble Nachrede“ und „Beleidigung“)  und “Disziplinarrechtlichen Komponente“ überprüft. Den Gang zu Gericht musste sich dieser Rektor ersparen, denn, so stellte seine Rechtsabteilung u. a. fest (6. 11. 2002), es „könnte Prof. Oberkofler der Wahrheitsbeweis gelingen“. Dieser hat immer noch die Vision einer Assoziation, „worin die freie Entwicklung eines jeden, die Bedingung für die freie Entwicklung aller ist“ (Karl Marx/Friedrich Engels). Dass eine solche Assoziation ihre Wurzeln nicht im vorherrschenden Universitätssystem haben kann, ist offensichtlich.

Gerhard Oberkofler

Gast

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