1

Ende des Gehorsams

Es war eine Lesung, bei der nicht gelesen wurde: Anneliese Rohrer, eine der kritischsten und wohl auch integersten JournalistInnen Österreichs präsentierte gestern in der Studia-Buchhandlung auf universitärem Boden ihr Buch: “Ende des Gehorsams“. Oder viel besser: Sie legte offen was sie antrieb, ein Buch mit einem solchem Titel zu verfassen. Eine halbe Stunde referierte sie leidenschaftlich über die politische (Un-)Kultur in Österreich und dass es sie erschrecke, wie hoch der Prozentsatz jener sei, die sich eine autoritäre Führung vorstellen können: Europaweiter Durchschnitt: 7 Prozent. Österreich: 25 Prozent. Nicht, dass die Gefahr, in eine Art Diktatur zu verfallen, akut wäre, meinte sie. Man müsse aber jetzt gegensteuern. Und dazu brauche es „Wutbürger“ oder besser: „Mutbürger“.

Sie orte massive Unzufriedenheit – vor allem im Rahmen der von ihr in Wien initiierten „Mutbürger“-Stammtische. Waren es anfangs 70 Menschen die kamen, seien es mittlerweile 250 Interessierte. Der Stillstand in beinahe allen Politikbereichen ärgere die Menschen, die zahllosen Korruptionssümpfe regten auf – doch wenn es an konkrete Maßnahmen geht, hätten die Menschen nach wie vor Angst, sich zu engagieren: vor Nachteilen, die einem daraus erwachsen könnten, davor, von anderen als „Spinner“ hingestellt zu werden, etc.

Patentrezept, wie die Lähmung in Österreich durchbrochen werden konnte, hatte Rohrer freilich nicht mit im Gepäck. Ihr Ansatz lässt sich jedoch klar umreißen: ein Einzelner ist ein Einzelner. Viele Einzelne sind Viele. „Sprechen Sie mit ihren Freunden über das was sie aufregt, verschicken Sie mails an Politiker, gehen Sie in Landtags- oder Gemeinderatssitzungen und sprechen Sie Ihre Poltikerinnen und Politiker an. Tun Sie es. Machen Sie auch anderen Mut. Dann tun auch die es. Schreiben Sie Leserbriefe. Es ist beinahe egal, was sie tun. Nur tun sie etwas und schimpfen sich nicht bloß sondern engagieren sie sich auch. Das kostet nichts, nur ein bisschen Zeit.“

Stéphane Hessel in Frankreich. Ein alter Ex-Politiker erklärt uns, dass wir aufstehen sollten, uns „empören“ sollten. Anneliese Rohrer in Österreich. Eine verdiente Journalistin fordert das „Ende des Gehorsams“ ein. Warum sind es ausgerechnet Vertreter der Generation 60plus, die aufrütteln wollen? Rohrer hat die Antwort parat: „Es sind wir, die wir dieses politische System zugelassen haben. Nun müssen wir auch unseren Beitrag dazu leisten, es zu verändern.“ Und natürlich brauche es einen Schulterschluss aller Generationen. Der scheint aber – noch – undenkbar. „Wo waren bei den Studentenprotesten vor zwei Jahren die Eltern der Studierenden? Die hätten da eigentlich mitmachen müssen.“

Anneliese Rohrer, Ende des Gehorsams. Braumüller 2011, ISBN 978-3-99100-061-7, EUR 12,90.

Wenn wir tatenlos zuschauen, wie Demokratie unterhöhlt, unterwandert und schleichend abgeschafft wird, dann machen wir uns schuldig – wir alle, nicht nur „die da oben“. Wir müssen aufhören, zu gehorchen, und anfangen, uns einzumischen. Es ist höchste Zeit.“

 

Markus Koschuh

One Comment

Schreibe einen Kommentar zu Heute Antworten abbrechen

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert