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Ein Gutmensch, wer ein Esel ist, geht den Weg der Philosophie!

vögelchen

Den darauf folgenden Tag stand der Rabe vor dem Badspiegel und musterte seinen Hals, der so aussah wie immer. Weder erhob sich da eine Schwellung, noch war der Adamsapfel röter als gewöhnlich. Dennoch schluckte er schwer und es kratzte ein wenig sehr. So beschloss der Rabe, sich zum Morgenspaziergang in den nahen Wald zu begeben. Die gute Luft würde ihn durchatmen lassen. Sie wäre voll des frischen Duftes wilder Waldkräuter, die im nebelgleichen Dampf der warmen Sonnenstrahlen ihren morgendlichen Tau auflösten.

Gern hätte der Rabe für die Wanderung sein Lieblingskleid, das rotgrüne Röckchen, getragen. Weil dies aber nicht an seinem angestammten Ort aufbewahrt und so wie unsichtbar unauffindbar war, legte er mit Stock, Zylinder und der neuen grünschwarzen Kutte los hinaus in die weite Welt.

Unter einem Lindenbaum sah er einen Esel liegen. Dieser trug einen spitzen Hut und schnarchte so sehr, dass die Blüten der Linde von Mal zu Mal zitternd zu Boden fielen und den Esel blumig bedeckten. Ob des grandiosen Schauspiels entzückt, rief der Rabe dem Esel „Einen wunderbaren guten Morgen!“ zu. „Wie schläft´s sich so im Blütenmeer?“

Der Esel rückte seine Mütze zurecht, richtete sich schleppend ein wenig auf und erwiderte dem grünschwarzen Raben mit zugekniffenen Augen: „Ja, sehr gut ruht es sich hier! Lieber wäre es mir aber, ich könnte dort verweilen, wo ich wegen meinem Laster vertrieben wurde. Lieber wären mir die Menschen rund um mich herum, das bunte Volk, die Kinder und der Trubel-Jubel, den ich sitzend auf der schönsten Straße inmitten der bergumschlossenen Stadt genossen habe stets Jahr für Jahr. Nun bin ich mehr ein Kasper, mit einer Mütze spitz. Das ist doch unfassbar. Ein Witz!“

Der Rabe antwortete, dass der Esel sich seines Mitgefühls versichern könne und es ihn über die Maßen erschüttere, dass er für sein Laster vertrieben worden sei. Aber er könne sich für ihn nicht verwenden, besser nichts tun, weil würde er, würde seine Situation nur verschlechtert. Er, der Esel, müsste sogar unter Umständen seinen Lindenplatz und die zarten Blüten weich aufgeben.

Erst gestern, habe er, der Rabe, der er ein berühmter Vorsänger ist, bei seinem Song über die Misere der Wohnungslosen bemerken müssen, wie es ihm die Stimme verschlug, weil er einzusehen hatte, dass seine Lieder ohne Lösung sind. So eine Art unkritische Kritik. Seine Stücke wären eher dazu angetan, jenen, die die Probleme erzeugen, eine Rechtfertigungsplattform zu bieten und so habe er sich mit seiner Frau, der gelben Füchsin, darauf verständigt, erst mal zu pausieren, wobei er für sich selbst schon innerlich abgeschlossen habe und er jetzt schon wisse, dass er nie mehr wieder Vorsingen werde. Damit ist jetzt Schluss!

Der Esel nickte betrübt über die eindeutigen Worte des Raben, riss sich eine Dose auf und spülte in einem Zug runter, was er soeben vernahm. Dann gab er sich eine zweite und ein dritte. Vielleicht auch noch eine vierte. Danach legte er sich zurück und ließ den Raben mit der gutmenschlichen Philosophie seiner Großmutter, einer Zeit ihres Lebens in der Schweiz hart arbeitenden Packeselin, ohne Kommentar allein.

Diese meinte:
Wer menschlich handelt, ist klug und wer menschlich ist, handelt klug!
Ein Gutmensch, wer ein Esel ist, geht den Weg der Philosophie.

Andreas Schärmer

Gast

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