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Die Kunst Widerstand zu leisten

Vor knapp zwei Monaten erschien das Buch des Radikalkünstlers Chris Moser im Kyrene Literaturverlag, in welchem er den Tierrechtsprozess sowie das gesamte Verfahren aus seiner persönlichen Sicht, der Perspektive des Familienvaters, Künstlers und Querdenkers beleuchtet. Seitdem fanden bereits Buchpräsentationen in Pettneu a. A., Bregenz, Salzburg, Graz und Knittelfeld statt.

 

Am Mittwoch, den 25. April 2012, um 19 Uhr wird Chris Moser sein Buch in der Buchhandlung Haymon präsentieren.

Die nächste Präsentation ausserhalb Tirols ist am 4. Mai in Schwanenstadt (OÖ) und auch Termine in Rosenheim, Meran und Wien werden derzeit fixiert. Die Erstpräsentation im Kunstraum Pettneu in Tirol, zusammen mit einer Ausstellung einiger Werke des Künstlers bestritt Chris Moser mit großartiger Unterstützung einer seiner Verteidiger, Bernd Haberditzl sowie mit Max Siller, der einerseits einer von Mosers Entlastungszeugen gewesen wäre, und andererseits auch das Vorwort zu Chris Mosers Buch verfasste.
 

Videobeitrag von der Lesung

 

Der Kunstraum Pettneu wurde deshalb für die Erstpräsentation gewählt, weil dort 2008, während Chris Moser in Untersuchungshaft gehalten wurde, eine Solidaritätsverkaufsausstellung mit rund 50 Künstler_Innen für die Familie des Künstlers und Aktivisten stattfand.

 

Verteidiger Haberditzl und Entlastungszeuge Siller werden auch bei der Mosers Buchvorstellung in der Buchhandlung Haymon am Mittwoch sprechen.

 

 

„Aufmachen Polizei!“
Mit diesen Worten endete das bisherige Leben des politisch aktiven Künstlers Chris Moser, seiner Frau und deren drei Kindern abrupt in den Morgenstunden des 21. Mai 2008. Chris Moser wurde als politischer Künstler und Aktivist für drei Monate gefangen gehalten – in Österreich!

In Form von Bildern aus der Gefangenschaft, anhand von über 200 Seiten Gefängnistagebuch und in der künstlerischen Auseinandersetzung während des Prozesses und danach beleuchtet er diesen „größten Justizskandal der zweiten Republik“ (Zitat, SPÖ Justizsprecher Jarolim) aus seiner persönlichen Sicht, der Perspektive des Querdenkers, Künstlers und Familienvaters und stets untermauert mit Fakten aus dem mehr als 200.000 starken Ermittlungsakt.

 

Wie wurde Chris Moser angeblich zu „einem der Hauptakteure der militanten Tierrechtsszene in Österreich“ (Zitat Polizeibericht vom 21. Mai 2008)? Wie erlebt ein sensibler und politisch denkender Künstler und Familienvater den Gefängnisalltag? Wie überlebt eine fünfköpfige Familie drei Monate Gefangenschaft und 14 Monate Prozess?

 

Ein engagiertes Buch über Kunst, Widerstand, Repression und Solidarität.


3 Comments

  1. Chris Moser kenne ich schon einige Jahre und ich schätze ihn als Unbeugsamen und Unbequemen – er ist kein Ja-Sager, sondern jemand, der beispielhaft für seine Überzeugungen eintritt. Trotzdem hatten wir auch schon heftige Diskussion, z.B. über den Begriff "Hühner-KZ". Meiner Meinung nach ist das eine unzulässige Verharmlosung des Holocaust und zwar auch deshalb, weil die Nazis in ihrer Propaganda Menschen mit Tieren gleichsetzten.

     

    Er hingegegn meinte, dass die Drastik des Begriffs die Leiden der Tiere widerspiegelt und das dies nur eine Metapher sei, um auf die grausamen Zustände in Legebatterien hinzuweisen. Na, wir haben uns NICHT einigen können, aber genau darum gehts: Man kann Menschen auch schätzen, wenn man mit ihnen nicht in allem übereinstimmt. Durch kontroversielle Diskussionen lernt man so einiges, finde ich!

    • auch ich habe schon mehrere von mosers vorträgen gehört und auch viele seine interviews gelesen.

      – dass er diesen sog. "KZ-vergleich" selbst vornehmen würde, hab ich noch nie erlebt.

      ich kann mir u.U. vorstellen, dass es in euren diskussionen um die grundsätzliche (un?)angebrachtheit allgemeiner mensch-tier-vergleiche gegangen ist.

      aber ich bin sicher, dass moser seine ethischen sichtweisen nicht auf den sog. KZ-vergleich aufbaut.

      – und das vielleicht sogar in erster linie deswegen, weil es allg. einfach auch der tierrechtsidee nicht dienlich ist……

      moser auch nur annähernd und in kleinster weise auch nur in richtig rechtslastiger tierrechtsaktivist_Innen (ja, solche gibts angeblich auch : (

      zu rücken, wäre extrem lächerlich.

      (und mir ist klar, dass das in obigem posting auch nicht beabsichtigt wurde!)

      paul f.

       

  2. Eröffnungsvortrag von Max Siller

    Am 21. Mai wird es sich zum vierten Mal jähren: 2008, in den frühen Morgenstunden dieses schicksalhaften Frühlingstags hat sich das Leben von Chris Moser und seiner Familie katastrophal geändert. In seinem Haus in der Wildschönau im Tiroler Unterland wurde der Künstler und politische Aktivist, Kampagnenleiter des Vereins gegen Tierfabriken (VGT) in Tirol, von einer achtköpfigen Staffel bewaffneter Polizisten überfallen und vor den Augen seiner kleinen, weinenden Kinder gefesselt. Stundenlang durchwühlte und verwüstete die Polizei das Haus in widergesetzlicher Art und Weise – und sie wurde fündig: Terroristische Requisiten von Kinderzeichnungen bis zum „chemischen Kampfstoff“ Sojamilch konnten sequestriert werden. Dann wurde er abgeführt und verschwand für drei Monate hinter Gittern. Mit ihm zusammen wurden neun weitere TierschutzaktivistInnen eingesperrt.

     

    Fast vier Jahre lang war von der „Sonderkommission Bekleidung“ im Geheimen gegen die ahnungslosen TierschützerInnen ermittelt worden, und zwar mit einem immensen Aufwand: große Lauschangriffe, Peilsender, Video- und Telefonüberwachung bis in die Schlafzimmer, persönliche Observierung und verdeckte ErmittlerInnen. Da sich keine Straftaten nachweisen ließen und die enorm kostspielige Haupt- und Staatsaktion sich als völlig sinnlos herausstellte, versuchte die SoKo den Verdächtigten ein umso gewaltigeres Delikt zu unterstellen: Mit der Konstruktion des Verdachts auf Bildung einer „kriminellen Organisation“ nach § 278a sollte die gescheiterte monströse Aktion der SoKo gerechtfertigt werden. Anfang September 2009 erhob Staatsanwalt Dr. Wolfgang Handler Anklage gegen die zehn ehemaligen Untersuchungshäftlinge und drei weitere im Tierschutz tätige Personen. Am 2. März 2010 wurde in Wiener Neustadt der Prozess eröffnet. Über die kafkaesken Ungeheuerlichkeiten und schamlosen Absurditäten, denen die Angeklagten dann in der Folge ausgesetzt waren, ist in den Medien, in Büchern und im Dokumentarfilm „Der Prozess“ (Gerald Igor Hauzenberger) berichtet worden.

    In der Tat stellt dieser österreichische Tierschutzverfolgungsskandal ("ein rechtsstaatlicher Wahnsinn", Dr. Michael Dohr) einen beunruhigenden demokratiepolitischen, ja einen zivilisationshistorischen Rückfall dar. Das (vorläufige) Ende ist bekannt. Am 2. Mai 2011 verkündete Richterin Mag. Sonja Arleth den Freispruch in allen Punkten. Der schriftliche Entscheid liegt seit 2. Februar 2012 vor, eine „schallende Ohrfeige“ (http://derstandard.at/1328507367501) für Polizei und Staatsanwaltschaft.

     

    Bei Chris Moser als Künstler stellt sich die Frage: Warum riskiert jemand in Ausübung seiner Kunst Gesundheit und Freiheit für menschliche und nichtmenschliche Lebewesen? Seine Triebfeder ist eine ganz persönliche, einem Richter hat er es im Zuge einer Verhandlung erklärt. Es ging um eine Verwaltungsübertretung anlässlich der Verhinderung eines grausamen Tierversuchs an Graugänsen. Der Richter fragte ihn verständnislos, warum er denn an solchen Aktionen überhaupt teilnehme, obwohl er doch Kinder habe. Moser sagte ihm, er müsse sich an derartigen Aktionen beteiligen, weil er Kinder habe. Er könne nicht tatenlos zusehen, wie seine Kinder „in einer grausamen und rein auf Profitstreben basierenden Gesellschaft aufwachsen“, er habe „nicht nur den nichtmenschlichen Tieren gegenüber eine große Verantwortung“, sondern eben auch seinen Kindern gegenüber.

    Heute steht fest: Menschen wie Chris Moser haben durch ihr künstlerisches Schaffen und durch ihre friedlichen Aktionen einen wesentlichen Beitrag zur Sensibilisierung für Tierschutz und Tierrechte geleistet. Und sie werden dies verstärkt und durch einen gerade durch die justizielle Anfeindung und Verfolgung massiv erweiterten Kreis von SympathisantInnen gestärkt auch in Zukunft tun. Schon während seiner U-Haft fand etwa in Tirol für Chris Moser „eine beispiellose Solidaritätsaktion“ (Tiroler Tageszeitung, 04.08.2008) statt, an der sich unter anderen 49 Künstler beteiligten. Dass der österreichische Tierschutzverfolgungsskandal und das prozessoide Spektakel von Wiener Neustadt zahlreiche Menschen, von denen viele wahrscheinlich bis dahin über die Probleme des Verhältnisses Mensch – Tier kaum nachgedacht hatten, in nie dagewesener Weise sensiblisiert worden sind, wurde durch eine nahezu unglaubliche Nachricht des Neuen Jahres 2012 in »derstandard.at« untermauert: Im Ranking der meistkommentierten Artikel des Jahres 2011 figuriert der Tierschutzprozess fünf Mal in den Top 6; mit 7.940 Postings führt ein Livebericht aus dem Gerichtssaal souverän die Jahreswertung an (http://derstandard.at/1325485438335).

    In meinem Vortrag am Wiener Tierrechtskongress Dez. 2011 habe ich den TSprozess mit dem Hexenprozess verglichen und ausdrücklich auch auf die Folter verwiesen. Die Folter als konstituierendes Element der Hexenprozesse brach alle. Eine inhaftierte Tierschützerin hat mir nachher gesagt, gefoltert worden sei beim Tierschutzverfolgungsskandal glücklicherweise nicht. Ich sage: natürlich hätte es noch schlimmer kommen. Immerhin gab es einen gewissen Schutz durch die Medien. Man denke daran, wie es dem hilflosen afrikanischen Schubhäftling Bakary ging, der 2006 in einer Lagerhalle in der Leopoldstadt von Polizisten fast zu Tode gefoltert wurde. Das tiefschwarze Innenministerium versuchte den unbescholtenen Afrikaner mit zertrümmertem Schädel abzuschieben, die Folterer blieben im Dienst. (profil 43/9, 2012, 68f.)

    Fragen Sie die Angeklagten! Fragen Sie sie, wie es ist, in der Nacht überfallen zu werden, eventuell vor kleinen Kindern; was es bedeutet, unschuldig im Gefängnis zu sitzen, einen Tag, eine Woche, 3½ Monate. Fragen Sie einen Chris Moser, was es bedeutet, über ein Jahr, mehrmals die Woche, eine Familie mit drei Kleinkindern zu verlassen und zu einem qualvoll sinnlosen „Prozess“ jeweils sechs Stunden hin und sechs Stunden zurück zu fahren? Die Traumata der Kinder, die in der Nacht aufschrecken und schreien, bis heute und wahrscheinlich noch Jahre später?

    Ja, es war Folter! Es war bewusste, geplante Folter – Misshandlung von unschuldigen Menschen! Wer Chris Mosers Buch liest, wird dies begreifen. Es ist deshalb ein wichtiges Werk, weil es zum einen den Leserinnen und Lesern das persönliche Martyrium eines großen Idealisten vor Augen führt und weil es zum anderen die Verbrechen, die an ihm, an seiner Familie und den anderen unschuldigen Tierschützerinnen und Tierschützern begangen worden sind, ansatzweise ermessen lässt und für alle Zukunft festhält.

    Den Künstler Chris Moser brachten aber auch Gefängnis und Gerichtssaal nicht zum Verstummen. Das nun vorliegende Buch ist das Ergebnis seines Schaffens in der Periode der staatlichen Repression, der Versuch, schwer traumatisierende persönliche Erlebnisse durch Kunst aufzuarbeiten: Bilder und Zeichnungen sowie tagebuchartige Aufzeichnungen aus der Gefangenschaft und persönliche Mitschriften aus jener prozessoiden Monsterveranstaltung, insgesamt also eine künstlerisch und historisch bedeutsame Dokumentation jenes Justizskandals, der das Ansehen von Polizei und Justiz in Österreich so schwer beschädigt und das Grundvertrauen der ÖsterreicherInnen in ihre Institutionen so nachhaltig erschüttert hat.

    Chris Mosers Buch ist ein wichtiges Werk, weil es beeindruckend vorführt, welch eminente Gefahr „§ 278a StGB Kriminelle Organisation“ für die Zivilgesellschaft darstellt. Als Instrument in der Hand bestimmter Politiker sowie Exekutiv- und Justizbeamten kann sich dieses Relikt aus der schwarz-blau-orangen Raubritter-Periode unserer Republik auswirken, wie wenn man einem Kind eine Kalaschnikow als Spielzeug in die Hand drückte: Der Paragraph kann offenbar als Waffe gegen missliebige Personen, gegen emanzipatorisches Engagement und unerwünschte gesellschaftlichspolitische Einmischungen und Aktivitäten eingesetzt werden. Dass es im Wiener Neustädter „Hexenprozess“ („Justiz zum Fürchten“, © Hans Rauscher) nicht gelungen ist, den Begriff “Tierschutz” politisch zu einer „terroristischen Aktivität“ umzudeuten, was nach dem „Hexenhammer“-§ 278a beabsichtigt war, ist nur den übermenschlichen Anstrengungen der Angeklagten zu verdanken, die sich mithilfe ihres VerteidigerInnen-Teams und eigener Detektive selbst freibewiesen haben.

    Chris Moser weiß, wovon er spricht und was er abbildet. Er und seine Familie – sippenhaftungsmäßig wurde auch seine Gattin verhört („Militanz und Gefährlichkeit“)! – haben am eigenen Leib das erfahren, was die seinerzeitige Justizministerin Claudia Bandion-Ortner bezüglich § 278a so kryptisch und doch so vielsagend angedeutet hat: "Äh – grundsätzlich kann man jetzt nicht sagen, Österreich ist dadurch sicherer geworden, aber – äh – die Bestimmung hatte ihren Sinn und ihren Zweck." (O-Ton nach dem Film „Der Prozess“; vgl. http://derstandard.at/1319182891849/, 16–11–2011).

    Ja – äh –, Frau JMin a.D., also – äh –, was jetzt?

    Ich sage es Ihnen: Die Tierschutz-Causa war und ist ein konstituierendes Element eines kleptokratischen Systems, ein gigantisches Ablenkungsmanöver des blau-orange-khol-raben-schwarzen „Schüsselei-Interregnums“ (© Max Siller), wo Geistesriesen vom Format eines Gendarms aus den schönen Gebirgstälern Tirols im Innenministerium herumhantierten, jenes Systems der Abzock-Periode, das von Anfang an das Image unseres Landes international beschädigt und all die Typen in politische und beamtete Positionen gebracht hat, von deren Machinationen jetzt eine erstaunte Öffentlichkeit – tagtäglich – unglaubliche Details erfährt und mit denen sich noch über viele Jahre hin die Gerichte zu befassen haben werden! Denn der im Moment im Zentrum des Untersuchungsausschusses stehende „Polit-Bankomat“ Telekom (Kurier, 15.03.2012) ist nur die Spitze eines Eisbergs von dutzenden Skandalen. 85% liegen bekanntlich unter Wasser, und an der tiefsten und schwersten Basis –oder sozusagen im untersten „girone“ des Korruptionsinfernos werden die mit seltsamen Todesfällen garnierten Eurofighter-Kampfjets stehen. Warum glauben Sie, waren die im Februar dem U-A übermittelten Steuerakten des VP-nahen Lobbyisten-Grafen Alfons Mensdorff-Pouilly geschwärzt? (vgl. profil 9)

    Chris Mosers Buch ist punktgenau erschienen, und es könnte hier in Innsbruck  nicht pünktlicher präsentiert werden als jetzt! Denn in diesen Tagen und Monaten ist der Tierschutzverfolgungsskandal dorthin zurückgekehrt, von wo er seinen Ausgang nahm: zu Günther Platter! Lassen Sie mich hier ein wenig ausholen: Tierschutz – Platter – Jagd – Tirol – Korruption. Es war ja Günther Platter, der im Jahrzehnt „der politischen Schamlosigkeit“ (Norbert Mayer, in: Die Presse, 30.01.2010) in mehrfachen Funktionen tätig gewesen war und der seinerzeit als Innenminister – auf Drängen der Firma Kleiderbauer – die berüchtigte „SoKo Bekleidung“ eingesetzt hatte. Und in Tirol war die Repression gegen Chris Moser auch in der Zeit zwischen seiner Haftentlassung und dem Prozessbeginn fortgesetzt worden. Hier war ja inzwischen Günther Platter Landeshauptmann geworden. Die Sicherheitsdirektion Innsbruck recherchierte also „auf eigene Faust“ intensiv weiter und stieß auf ein Youtube-Video eines Künstler-Teams um Chris Moser, das den von Platter geförderten Andreas-Hofer-Gedächtnisrummel von 2009 kritisch beleuchtete. Prompt erhielt Chris Moser (und seine Familie) wieder Besuch von bewaffneten Polizisten und wieder hatte er Ermittlungen, diesmal wegen staatsgefährdenden Verhaltens zu überstehen.

    Und nun sehen wir Günther Platter als würdiges Mitglied jener würdelosen Horde von gierigen Nehmern, die ein "zivilisatorisches Versagen" in diesem Land eingeleitet haben, das am historischen Wendepunkt der Jahrtausendwende begann, als Österreich vom zivilisierten Rest Europas geächtet wurde. Wie verlottert und verkommen die politischen Machthaber der Schüsselei agierten, erleben wir jetzt. Jetzt wird auch dem letzten Optimisten klar, dass ein Heer von schmachvollen Schurken das Land im Würgegriff hatte. „Aufhören!“ schreien sie jetzt im Untersuchungsausschuss (etwa die ÖVP-Frauenchefin Dorothea Schittenhelm, 21-03-2012 – http://news.orf.at/stories/2111215/2111178/), „Akten schwärzen!“ (vor allem natürlich jene des „bösen Grafen“ [© profil]), „Zeugen verweigern!“ (http://derstandard.at/1332323994919/; http://derstandard.at/1332324102430/, 28/29-03-2012) – wo jetzt selbst der Untersucher dringend untersucht werden muss – wie der steirische Werner (Tut-Ench-)Amon…

    Bei der Enttarnung von Strasser hatten sie sich noch entrüstet: „Ein Wahnsinn!“, voraus empört zeigte sich Platter. „Aber wir sind eine saubere Partei!“ beteuerte er und jetzt, gefangen in der Wolfsgrube von Korruptionsverdächtigungen, erklärt er: „Ich bin ein anständiger Mensch!“ (http://diepresse.com/home/politik/innenpolitik/744129/). Ja, Wir alle glauben ihm – wie wir dem Kreter glauben, der behauptet, dass alle Kreter lügen… Die Reihe seiner gefallenen Freunderln ist bekannt: nach Strasser Switak, sein Freundchen aus Wiener Tagen (vergünstigtes Penthouse, kostenlose Jagden), dann die Tiroler Abg. Karin Hakl. Jetzt will „der einsame LH“ (ECHO 14/2012) auch noch der Stadt Innsbruck eine seiner „schwarzen Mogelpackungen“ (basics 13.4.2012) verklickern. Nachdem der TIWAG-Lobbyist FX Gruber nicht präsentierfähig war, soll nun ein im Landhaus geparktes Freunderl unser Stadtoberhaupt werden – mit jener „neuen Politik“ der „Verlässlichkeit“, mit der er 2008 mit 800.000 fehlenden Euros die stadtpolitische Bühne verlassen hat.

    Nun also steht Günther „Ich bin ein anständiger Mensch!“ Platter selbst unter Druck. Ein Jugendfreund habe ihm einen Gamsbock spendiert, hieß es zuerst. Und dann sah man, dass das Land wimmelt von Jugendfreunden Platters – wahrscheinlich aus seiner Zeit als Gendarm – alle wollen ihn beschenken: Einer offeriert eine „Gams in Zams!“, ein anderer ein Murmeltier, ein Bürgermeister präsentiert einen Rehbock, ein Promi-Wirt will auch seine Gabe deponieren, und selbst ein Schweizer Fleischgroßhändler will dem everybody’s darling eine Freude machen – auf Bitten einer Agrargemeinschaft (aha, jener berüchtigte Zusammenschluss von privilegierten Bauern in Tirol)! – einen Gratis-Hirschen, nicht dem Jugendfreund in diesem Fall, sondern dem „Jungjäger“ (http://oe1.orf.at/artikel/301177 – Mittagsjournal, 26-03-2012). Und alle diese Tierchen werden dem Landeshauptmann nicht für seinen Streichelzoo geschenkt, sondern – zum Abschuss! Denn für Platter steht dieser „Mords-Spaß“ – er nennt es „Jagdspaß“ und „Freizeitaktivität“! –in einer Reihe mit Schitouren und Wanderungen in den schönen Gebirgstälern Tirols.

    „Ich bin ein anständiger Mensch!“ Wir glauben ihm, auch weil uns dies Spindelegger versichert, der ja an Jagdeinladungen „nichts Schlechtes“ ortet („Platter muss jagen, Pröll trinken“, http://diepresse.com/home/politik/innenpolitik/744129/)! Er muss es ja wissen, hat er doch jetzt für seine Partei einen Verhaltenskodex bestellt bei der ehemals bestverdienenden Österreicherin, der Nationalbank-Chefin Maria Schaumayer (ihre Regel für Erfolg: „Man muss tun, woran man Freude hat“, http://www.wu.ac.at/structure/about/publications/magpdfs/magazin0406.pdf) und anderen. In diesem geradezu mosaisch-ehernen Legisten-Team fehlt nur noch Andreas Khol, Tiroler Altmeister für die „Zehn Gebote“, für den die Wahrheit bekanntlich eine Tochter der Zeit ist, und eventuell ein Tanzlehrer – für den „Tango Corrupti“. Dabei wäre alles so einfach: „Du sollst nicht stehlen!“

    Während nun Platters Platitüden den Weg in die internationalen Medien (z.B. taz, Berlin) gefunden und seine Waidmanns-Aphorismen ob ihrer betörenden Schlichtheit und des frenetischen Zuspruchs der Jägerschaft geradezu Kultstatus erlangt haben – „Wenn man Jagdglück hat, darf man sich im Land Tirol freuen und muss sich nicht schämen“ / „Wenn Jagd gleichgesetzt wird mit Schweinereien in Wien, muss man dem die Stirn bieten“ (TT vom 1. April 2012, S. 6) / „Es muss für einen Landeshauptmann möglich sein, im eigenen Land auch die Freizeit zu verbringen“ („Jagen auf Kosten der Waffenlobby“, http://www.taz.de/!91209/) – kriegt er neuerdings (TT, Sa, 21. April 2012, S. 9) moralischen Beistand von einem Philologen in Vakanz, unserem Wissenschaftsminister von Platters Gnaden Karlheinz Töchterle, einem bekennenden „Bequemlichkeitsnichtvegetarier“ („Es gibt noch andere Aufrechte“, http://diepresse.com/home/politik/innenpolitik/749366). Während Platter "in Deutschland schon längst gewulfft wäre" (© Bernhard Ernst, http://diepresse.com/home/politik/innenpolitik/744655/), echauffiert sich Töchterle über den „teilweise übertriebene(n) Puritanismus, der da über uns zusammenschlägt“: der „passt […] nicht zu uns, zu unserer Kultur, zu unserer Geschichte“. – Zu uns? Zur Kultur der Blasmusik? Zur Geschichte der unsauberen Sitten? Töchterle exkulpiert jedenfalls seinen Bläserkollegen, indem er meint, die Jagdeinladung an den LH sei „mehr Kultur“ als Geldwert. Ja, der Altphilologe, dem die Unterscheidung von Kultur und Unkultur offenbar Schwierigkeiten macht, greift kühn über seine an sich nur die Antike umfassende Periode hinaus und doziert in vorklassischem „Jägerlatein“: „Die männliche Jagdhorde hat sich in Hunderttausenden von Jahren in unseren Genen festgesetzt. Dazu kommt die Sinnlichkeit einer Jagd, das Naturerlebnis.“ – Dazu kommt mir nur Kopfschütteln und ein Spruch in den Sinn, den mittelalterliche Vagantendichter sangen: „Wes Brot ich ess, des Lied ich sing.“ Vielleicht findet dieser Minister, der bisher vor allem durch die Forderung von Studiengebühren aufgefallen ist und Rechtsunsicherheit in die Universitäten gebracht hat, dereinst  –„es gibt noch andere Aufrechte“ – seinen Abgang durch den „Wolfgang-Schüssel-Gedächtnisstollen unterhalb des Ballhausplatzes“ (© Rainer Nikowitz, profil 16, 16. April 2012, 122)

    Günther „Ich bin ein anständiger Mensch!“ Platter, dieser Tiroler „Jungjäger“, der gerne auf Kosten anderer Leute im Land herumballert und jetzt selbst zum Gejagten geworden ist, hat also seinerzeit die Jagd auf die TierschützerInnen eröffnet! Es ist wichtig, sich das vor Augen zu halten, denn: Chris Mosers Werk – „ein unheimlicher Tatsachenbericht mitten aus unserem österreichischen Leben!“ (Helmuth Schönauer) – zeigt beispielhaft, was einem Menschen oder ganzen Gruppen geschehen kann, wenn sie den Machenschaften einer – um den Rechnungshofpräsidenten Dr. Franz Fiedler zu zitieren (Ö1-Morgenjournal vom 16-03-2012) – verluderten Politik in die Quere kommen, wenn sie es wagen, den gesponserten Revieren der feinen „schwarzen Jagdgesellschaften“ zu nahe zu kommen oder die fröhlichen „Stammtische“ von Pelz- und Fleischproduzenten zu stören.

    In diesem Sinn ist Chris Mosers Buch – „das wahrscheinlich erschütterndste Buch, das in den letzten fünf Jahren in Tirol erschienen ist“ (H. Schönauer) – ein Anschreiben und ein „Anzeichnen und -malen“ gegen das Vergessen und damit gegen die stillschweigende Begnadigung der Schuldigen. Denn das ist unser Zorn, und wir möchten die Verantwortlichen vor Gericht sehen! In welchen Amtsstuben verstecken sich heute jene, die im Interesse von Konzernen und auf Geheiß verschworener Cliquen die physische und psychische Integrität von Menschen so schwer verletzt haben? Auf welchen Sesseln sitzen jene Politiker und ihre Büttel, die dieses gewaltige Unrecht an unschuldigen Menschen wie Chris Moser und seinen Familienmitgliedern – und ganz gewiss auch den anderen TierschützerInnen! – zu verantworten haben? welche Menschen wegen ihrer freien Meinungsäußerung verfolgen, wegen ihres zivilpolitischen Engagements kriminalisieren und Widerständige in Gefängnissen verschwinden lassen? Vielleicht werden sie heute nicht zur Rechenschaft gezogen, ja sogar durch Karrierebeförderungen belohnt. Aber die Geschichte wird sie doch dereinst richtig beurteilen, so wie sie für uns „the blame of shame“ zu tragen haben und in die ‚Hall of shame‘ gehören – während wir uns vor Menschen, die sich wie Chris Moser für übergeordnete Ideale wie den Schutz und die Rechte von wehrlosen Lebewesen einsetzen, verneigen, ihn danken und ihnen einen Platz in unserer ‚Hall of Fame‘ zuweisen.

     

     

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