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Die Geschichte von der singenden Füchsin

photo.fuchs
Als der Rabe eines Abends müde vom Vorsingen zu seiner Frau, der gelben Füchsin, nach Hause kam, hatte er eine sehr heißere Stimme. Ja, er klagte sogar über Halsschmerzen und musste zugeben, dass es ihm beim Lied über das Schicksal der Wohnungslosen beinahe die Stimme verschlagen hätte. Er würde den nächsten Tag keinesfalls seine Lieder wieder vortragen wollen und überhaupt werde er seine Karriere als Vorsänger beenden. Er habe den Schnabel gestrichen voll.

Seine Frau, wenig besorgt um ihren wenig geliebten Gatten, der ja immer nur schon sich selbst am wichtigsten war, fragte für den Hausfrieden dann doch: „So sag mir, was war heute los? War wer im Publikum, der dir nicht bekam? Mann, sprich dich aus!“

Und der Rabe sprach, den letzten Rest seiner Stimme zusammenkratzend:
Ich trug erst mein Lied über die hohen Mieten und die unwürdige Ausstattung der Wohnungen vor. Beim Refrain zum Schimmelpilz geriet die Meute außer Rand und Band. Dann ging ich über zu den schlecht bezahlten Jobs. Später ließ ich meine Songs über das teure Leben vom Stapel. Bei der Misere der Wohnungslosen angekommen, durchfuhr es mich plötzlich wie von der Schrotflinte getroffen. Ich fragte mich: Kann es sein, dass mein Gesang nicht zur Lösung dieser Probleme führt? Kann es sogar sein, dass ich zu diesen Problemen beitrage, weil ich keine Lösungen anbiete?

Und ist es nicht so, dass ich selbst das Problem bin, weil ich stets vom Gleichen singe und so denen, die diese Probleme auslösen, eine Rechtfertigungsplattform biete? Kann es also sein, dass ich, wären diese Probleme nicht, keine Existenzberechtigung hätte, so wenig wie jene, die diese Probleme wie einen Schwelbrand lebendig hielten? Wäre also meine Kritik gar keine Kritik sondern nur eine Kritik in der Form einer kritiklosen Kritik, die, weil sie nicht kritisiert, eben gar keine Kritik ist?

Wie du dir vorstellen kannst, liebe Frau, entzog es mir bei diesen Gedanken die Luft unter den Flügeln. Meine Stimme überschlug sich in Atonalität. Ein letzter Seufzer entschwand mir, bevor ich die Bühne mit gesenktem Haupt verließ und das Publikum mit ihren Rufen nach Zugabe enttäuschte. Nein, ich werde nie mehr wieder singen!

Der Füchsin wurde klar, dass es ihrem Mann todernst war. Sie erkannte ihre Chance. Viel zu lange war sie schon im Schatten ihres Gatten gestanden. Und so sann sie nach einer List.
Wie der Rabe zu Bette gegangen war und schon lange und tief schlief, huschte sie in die gemeinsame Kammer und stahl ihm sein schwarzes Federkleid. Sie schrieb noch eine kleine Notiz, die sie auf dem Esstisch ablegte. Dort stand, sie habe sämtliche Termine abgesagt. Er solle sich für die nächsten Tage gut ausruhen. Sie würde, für eine Woche bloß, zu ihrer Freundin, der grauen Wölfin reisen. Sein Federkleid hätte sie in die Reinigung gebracht.

Am nächsten Abend aber stand der Rabe wieder auf der Bühne und trällerte seine Lieder wie eh und je. Dass es sich dabei aber um eine Füchsin im schwarzen Federkleid handelte, störte niemanden. Im Gegenteil, alle waren froh, dass das Rad der Geschichte sich weiterdrehte.

Die Geschichte von der singenden Füchsin von Andreas Schärmer

Gast

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