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Die beiden Frauen am See

Der Arbeitsuchende sagte nichts mehr, wusste auch nicht, wie das hieß, dass da jetzt lag und den Tisch bedeckte und offenbar doch nur eine von der Wirtin schön gehäkelte Tischdecke war. Von einer Künstlerin, und obendrein noch bildhübschen Frau aus Argentinien stammend, und schon einige Jahre in diesem Kaff zusammen mit ihrem Freund lebend. „Ich bin heute schlecht drauf …“, sagte der Arbeitsuchende, und konnte weder die Bezeichnung für Tischtuch noch den für Bücherregal nennen.  Von der Wirtin waren aber auch die Bilder gemalt, die an den Wänden hingen, und die konnte der Arbeitsuchende  noch bezeichnen, ohne nachdenken zu müssen.

Der Arbeitsuchende war ziemlich fertig, keine Frage! Er hatte heute schon um halb sechs Uhr früh aufstehen müssen und zur Arbeit gehen, aber das war jetzt vorbei, wie der Arbeitsuchende triumphierend sagte. Er hätte, so sagte der Arbeitsuchende zum Reisenden, heute Vormittag den Schlüssel zu seinem Büro abgegeben und zur Leiterin gesagt, dass er genug hätte und wieder gehen würde. Und gegangen war. Sich in den nächsten Zug gesetzt und wieder zurück nach Hause gefahren und dann gleich mit einem Bus weiter zu einem wunderschönen Bergsee gefahren war. Und hätte sich dort neben zwei ebenso wunderschönen jungen Mädchen im Badeanzug gelegt und ein klein wenig mit ihnen geflirtet, sagte der Arbeitsuchende zum Reisenden und trank dazu ein Bier. Und dass es mit der Arbeit vorbei sei, weil ihn dort niemand eingewiesen hätte, niemand etwas erklärt hätte, was er zu tun hätte, und wo die Ordner wären, die doch für seine Tätigkeit so unsagbar wichtig gewesen wären, und wie sie sich denn das vorgestellt hätten, ihn, den Arbeitsuchenden und mit all dem hier nicht Vertrauten da einfach so mir nichts dir nichts anfangen zu lassen, so mit null Wissen über all das hier zu Tuende und zu Erledigende. Ja wie solle er da Zuständigkeit vermitteln, wenn er nicht mal wüsste, wo die Ordner seien, so der Arbeitsuchende zum Reisenden.

Ohne Ordner könne er doch unmöglich Kompetenz vermitteln, das sei doch ein Ding der Unmöglichkeit, so der Arbeitsuchende weiter. Und die Wirtin, die malende und Tischdeckchen häkelnde Wirtin brachte gleich noch einen Wein und schenkte ihnen beiden ein, und war schön anzusehen, eine Augenweide war sie, kein Zweifel. Und er, der Arbeitsuchende, heute nicht gut in Form wegen des Föhns, der kommen werde, weil er ihn schon seit einigen Stunden in jeder Pore seines Körpers spüre. Und dass er einen anstrengenden Tag hinter sich hätte, und jetzt einfach nur froh sei, dass dieser vorüber und vorbei sei. Während der Reisende beobachtete und von Berlin erzählte, aber dass es hier, in diesem Kaff doch am Ende angenehmer sei, weil er hier alle kennen würde und alle ihn kennen würden, was sich jetzt wieder herausstellte, als ein paar junge Leute in das Lokal hereinkamen und ihn, noch ehe sie sich setzten, freundlich grüßten. „In Berlin grüßte mich niemand, kein Mensch grüßte mich dort, als sei ich ein Niemand…“, sagte der Reisende zum Arbeit Suchenden, und dieser gab sein Verständnis kund, wusste, was der Reisende meinte.

Die Wirtin hatte schöne Füße, die der Reisende liebend gern geküsst hätte, und er sagte, früher hätte er sich nie vorstellen können, die Füße einer jungen Frau zu küssen, auch wenn diese frisch gewaschen gewesen wären. Heute sei ihm das kein Problem, und er würde die Füße junger Frauen liebend gerne küssen, wie er auch jetzt die Füße der Wirtin gerne geküsst hätte, sagte der Reisende zum Arbeitsuchenden, und es klang so, als hätte er gesagt, er würde sich jetzt irgend etwas trauen was er sich lange Zeit seines Lebens nie getraut hätte wie z.B. eine Spinne anzufassen oder eine Ratte zu streicheln. Und dieser verstand und sagte, er hätte heute die beiden jungen Frauen am See auch am liebsten geküsst, noch dazu, wo sie sich gerade gegenseitig ihre in Bikinis steckenden Körper mit Sonnenöl eingeschmiert hatten, womit sie die Blicke des Betrachters noch mehr auf sich gezogen hatten. Und danach hatte es geduftet nach dem Öl und die schönen jungen Körper der beiden Mädchen hätten in der Sonne geglänzt, dass dem Arbeitsuchenden ganz schwummrig davon geworden war. Und beide knabberten sie an dem von der bildhübschen jungen Wirtin im tiefen Dekolleté gereichten Knabbergebäck, das es nur so knusperte und knisterte vor Erotik.

Dann stießen sie beide auf den Entschluss des Arbeit Suchenden an, den ihm vom Arbeitsamt vermittelten Job, der ohnehin nichts für ihn gewesen wäre, hingeschmissen zu haben, auch nach zweijähriger Arbeitslosigkeit es auszuhalten und sich an einen wunderschönen See zu fahren. Und seit er nicht mehr arbeite, esse er mehr denn je, ja fast dreimal so viel wie vorher, was ihn wundere, da er doch weniger Energie verbrauchen würde, wie er gerade heute und gestern wieder gemerkt hätte, als er zu arbeiten begonnen hatte.

Obwohl nicht wirklich gearbeitet, denn es hätte ihm ja niemand gesagt, was er eigentlich hätte tun sollen, so dass er nicht arbeiten konnte, also obwohl ein Arbeitswille bei ihm vorhanden gewesen wäre, hätte er diesen nicht in die Tat umsetzen können, da er zu dieser Umsetzung ja hätte wissen müssen, was seine Aufgabe gewesen wäre, Kompetenz verbreiten, den richtigen Ordner in die Hand zu nehmen um nachzusehen was zu tun sei in jenem konkreten Fall der alten Frau, die nicht mehr weiterwusste, ob und wann sie ins Heim gehen sollte oder musste. Den Anrufbeantworter zu bedienen, wenn er nicht wusste, wie der Anrufbeantworter funktionierte, da ja bekanntlich alle Anrufbeantworter anders funktionieren wie man weiß. Und die Frau, die ihn hätte einführen sollen, nicht da gewesen war, weil schon in Karenz und daher nicht mehr kam, das ganze kommende Jahr nicht, und eben auch sonst niemand da war, den er hätte fragen können. Und dass sie ihn deshalb „gernhaben“ sollten, wie er dann auch noch der Stationsleiterin lauthals gesagt hatte und den Stationsschlüssel hingeschmissen, und die Station verlassen, so sagte der Arbeitsuchende zum Reisenden. Und dass er sich von denen kein X für ein U vormachen lassen würde.

Mit denen meinte der Arbeitsuchende die lieben Damen und Herrn von der Arbeitsmarktverwaltung, die seiner Meinung nach nur mehr Verwalter der organisierten Armut und Menschenverachtung sein würden. Nein, zu denen gehöre er nicht. Und das wäre ja noch schöner, sie müssten ihm nicht den roten Teppich ausbreiten, das nicht, aber sie sollten ihn begrüßen und ihn in seinen neuen Arbeitsplatz einführen, ihm alles erklären und alles zeigen, das wäre doch wohl das Mindeste das man verlangen könne, wenn man schon mal da zu arbeiten beginnen muss, so der Arbeitsuchende.  Ja, das sei das Geringste, bestätigte ihn der Reisende, das würde er sich auch erwarten, sagte er. Aber die ganze Station sei völlig vergammelt und ein einziger Sauhaufen gewesen, so der Arbeitsuchende zum Reisenden, wo der eine nicht weiß was der andere tue und wo niemand richtige Kompetenz haben würde.

„Ja, ja …“, sagte der Reisende, das könne er sich vorstellen, das sind genau die Arbeitsverhältnisse, bei denen die Leute schon nach wenigen Monaten ein totales Burn-out hätten., und sich dann für mehrere Monate krankschreiben lassen müssten, wenn sie überhaupt noch auch nur zu irgendeiner Arbeit fähig wären. Und was am Ende dann viel ineffizienter sein würde als wenn die Leute schon vorher besser abgesichert wären, durch bessere Arbeitsorganisation und Arbeitsaufteilung, sagte der Reisende weiter. Und der Arbeit Suchende stimmte ihm zu.  Und beide stießen sie erneut an und der Reisende beglückwünschte den Arbeitsuchenden zu dieser seiner Tat und dass er sich so was nie und nimmer gefallen lassen sollte.  Ehe sie gingen, weil die Wirtin Sperrstunde machen und nach Hause gehen wollte. So gingen der Arbeitsuchende und der Reisende und machten noch Halt in einem anderen Lokal, das auf ihrem Heimweg lag. Und dort erzählte der Arbeit Suchende dem Reisenden dann noch, wie es ihm mit en beiden Frauen am See weitergegangen war, was den Reisenden ohnehin viel mehr interessierte.

© Helmut Schiestl

Helmut Schiestl

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