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Der Mann im Matsch

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Langegger schrieb Julia eine SMS, ob sie nicht Lust hätte, sich mit ihm zu treffen. Sie antwortete mit „ja“. Er smste zurück, sie solle sich melden, wenn sie Zeit hätte. Er hätte immer Zeit, zumindest für sie, schrieb er noch. Das freute die Geliebte, die ja nur eine potentielle war. Also nicht wirklich, noch nicht wirklich. Aber das hätte sich ja noch ändern können. Das hoffte Langegger zumindest.

Julia meldete sich nicht mehr. Langegger ging durch den Regen. Das war aber schon ein paar Tage später gewesen. Langegger dachte, er treffe sie einfach mal zufällig. Er hatte sich das auszurechnen begonnen, wie hoch die Wahrscheinlichkeit war, Julia die kommenden Tage mal zu treffen. Die Stadt, in der sie beide lebten, war nicht so groß und daher war auch die Wahrscheinlichkeit nicht so klein, dass sie sich mehr oder weniger zufällig trafen. Vor allem auch, weil sie sich beide doch immer wieder in den gleichen Lokalen begegneten, mehr oder weniger zufällig immer wieder.

Und als Langegger es ausgerechnet hatte, lächelte er still über seinen Laptop, mit dem er im Café saß, neben sich eine Tasse heißen dampfenden Kaffees. Er dachte, für ihn wäre Julia vielleicht wie ein Stromausfall. Alles weitere wollte er sich gar nicht denken. Alles Weitere wäre  zu viel gewesen. Und allen wollte er sagen: „Ich habe mit eurer Welt nichts am Hut! Lasst mich meine Freundin finden. Ich werde sie wiedersehen. Ich habe es ausgerechnet!“

Aber was ist eigentlich die größte Herausforderung beim Finden einer Person für eine gelungene Partnerschaft? Was sind die größten Konflikte, die ein Paar durchstehen muss? Eifersucht, Krankheiten, das Altern und schließlich der Tod?  Schlimmer vielleicht als all die Konflikte um die Welt? Um das Zusammenleben in der Welt. Schlimmer als all die Debatten, die Jahr für Jahr in den Medien heruntergebetet wurden. Denn, so schloss Langegger seinen Gedankengang, was half in einer sozial anscheinend gerechten Welt, ja selbst der angenehmste Arbeitsplatz, wenn der Mensch alleine war, wenn er seine Gefühle und seine Sexualität nicht ausleben konnte.

Es begann zu regnen. Die Leute fotografierten sich in dem Lokal.  Und das Blitzlicht leuchtete auf in den Gesichtern der so Aufgenommenen. Und Langegger fragte sich, wie lange er noch lebte. Und ob ihn nicht schon längst alles zu viel war. Ja war er am Ende gar der Mann im Matsch? Der Mann, der im Morast versank, von dem dann bald nichts mehr übrig war, wie ihn ein deutscher Bildhauer vor einigen Jahren mal in einer deutschen Kleinstadt einfach hingestellt hatte, als Symbol für den Mann der Zukunft vielleicht, oder eher den der Gegenwart? Wer mochte es wissen, und wer mochte es deuten? Es war, was es war.

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Thomas Schütte: Der Mann im Matsch.  Foto: Wikimedia

 

Helmut Schiestl

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