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Der Kinderlose

Zu Lanznaster ging Laura nie. Und Lanznaster ging nie zu Laura. Lanznaster zeigte Laura nur am Monitor seiner Digitalkamera Fotos seiner Wohnung, die er im Laufe der letzten Monate gemacht hatte. Das machte Lanznaster immer so. Weil Lanznaster einfach keine Lust hatte, dass irgendeine Frau seine Wohnung betrat. Weil seine Wohnung ein Tabu war. Weil da einfach nicht jeder Zutritt hatte, wo käme man da schließlich hin, wenn man jeder Frau seine Wohnung zeigt. Und weil Laura ohnehin kein Interesse hatte, Lanznasters Wohnung zu sehen. Ja überhaupt Lanznaster zu sehen, dachte er darüber auch gar nicht weiter nach.  Und das wusste Lanznaster.

Laura aber war wunderschön. Viel zu schön für Lanznasters Wohnung. Viel zu schön für Lanznaster. Das war klar. Und wie das klar war. Laura war blond, hatte wunderschöne blauen Augen, eine schön gebräunte Haut, kleidete sich geschmackvoll, war sehr eloquent, warf oft mit Apercus nur so um sich und wusste fast auf alles was zu sagen. Hofer grüßte sie, Malloyer grüßte sie. Lanznaster grüßte sie. Karg küsste sie. Der Rest der Anwesenden grüßte sie irgendwie. Und Lanznaster sagte wie zur Auflockerung der ganzen Szene: „Keine Kinder! Kinder sind nur Belastung, sind nur Aufwand, der sich niemals lohnt. Nie die investierten Gefühle. Denn sobald sie größer sind, gehen sie ihre eigenen Wege!“ Und ein anderer darauf lachend: „Es sei denn, du bindest sie fest, oder sperrst die ein.“ Makabres Lachen  folgte, peinliche Stille und beunruhigte Blicke der anderen.

Man stelle sich mal vor, darauf wieder Lanznaster, wie es denn wäre, wenn aufgrund einer rigorosen Sparpolitik der Regierung, der etwa auch die Kinderbeihilfe zum Opfer fallen würde, keine Kinder mehr geboren werden. Also Kinder sich nur die Reichen leisten könnten. Wie das dann wohl wäre, wenn dann, sagen wir mal, in jeder Straße nur mehr ein Kind leben würde, oder vielleicht noch zwei oder drei, so dass die Kinder dann, wenn sie in den Kindergarten gehen, wovon es dann wahrscheinlich nur mehr ganz wenige in der Stadt geben dürfte, und schließlich vielleicht auch nur mehr einen einzigen, von überall herkommen. Aus allen Straßen kommt ein Kind, mit einer Kindergartentasche geht es, vielleicht von seiner Mutter, seinem Vater oder sonst wem geführt, in den Kindergarten.

In allen Straßen der Stadt bewegt sich um  8 Uhr, zu Beginn der Kindergartenzeit, ein Kind oder zwei Kinder  auf den irgendwo mitten in der Stadt sich befindenden Kindergarten zu. Und später dann, läuft je ein Kind auf die Volksschule zu. Es braucht keine Kindergartenlotsen mehr und keine Schülerlotsen. Man stelle sich weiter vor: in jeder Schulklasse vielleicht nur mehr ein, zwei, drei oder vier Kinder, so dass schließlich die Klassen aufgehoben und die ganze Schule in eine einzige Klasse umgewandelt werden kann.  Und jedes der Kinder ist dem anderen Spielgefährte, ohne unterschied. Also keines mehr der Feind des Anderen, so Lanznaster weiter. Und rund um sie die Erwachsenen, sie sie sorgsam umgeben, damit nichts passiert, und kein Kind dem anderen wehtut. Keines dem anderen die Nase einschlägt, vielleicht auch nur aus Versehen oder aus Unachtsamkeit. Da seien die Erwachsenen vor. Die ihre Kinder lieben und sich für alle verantwortlich fühlen, auch für die nicht von ihnen Geborenen und Gezeugten.

Und jedes Kind geht nach dem Unterricht wieder allein nach Hause, oder wird von einem Elternteil nach Hause geführt. Und sitzt dann in seinem Zimmer und spielt mit sich selbst und dreht sich im Kreis und bleibt still.  Und wenn es was erzählt, hören ihm die Eltern zu, und befragen es genau, was es alles erlebt hat. Am Abend dann liest es die Zeitung oder legt Patiencen, ehe es schlafen geht und den morgigen Tag kaum erwarten kann, wo es wieder in die Schule geführt wird und lernt, für das Leben und das Fortkommen.  Und darüber hinaus: „Mit welcher Aufmerksamkeit werden diese Kinder dann die Welt sehen und auf ihr bestehen können, und ihrer Melodie  zuhören können. Und mit welcher Aufmerksamkeit die Eltern ihren Kindern zuhören. Keiner wird mehr dem Anderen im Wege sein“, schloss Lanznaster mit einem seligen Lächeln auf seinen Lippen.

Zweites Foto: Transittradition von Hannes Zebedin; zurzeit im Tiroler Kunstpavillon zu sehen.

Helmut Schiestl

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