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Das Schnitzel

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Franz hatte sich wieder einmal aufgeregt, was zwar immer wieder geschah, aber diesmal einen ganz besonderen Grund hatte.  In einem Lokal sitzend, hatte er mitansehen müssen, wie ein am Nebentisch mit seinen Eltern sitzendes kleines Mädchen sein Schnitzel nicht aufgegessen hatte. Das Mädchen hatte das halbe Schnitzel einfach liegen gelassen, und das war auch nicht weiter verwunderlich gewesen, war der Abend doch schon ziemlich vorgerückt – es war so gegen neun – als dem kleinen Mädchen das Schnitzel serviert worden war. Und Franz machte da in erster Linie die Eltern des Mädchens  dafür verantwortlich, dass sie dem Kind zu so später Stunde noch ein ganzes Schnitzel servieren ließen. Das Mädchen konnte also wohl nichts dafür, wenn ihm das Schnitzel eindeutig zu viel gewesen war. So wurde das Schnitzel schließlich dem Ober zurückgegeben, der es wahrscheinlich in der Küche wegwarf. Und Franz dachte, wie das jetzt noch kleine Mädchen wohl einmal über das Elend der Welt denken mochte, wenn es größer geworden war, und sich Gedanken über den Lauf der Welt zu machen begann, wenn es schon als kleines Kind mit dem achtlosen Verzehr und Gebrauch von Fleisch konfrontiert wurde. Also nichts Besonderes dabei sah, wenn man Fleisch, so man es nicht mehr essen wollte, einfach wegwerfen konnte. War hier denn nicht ein eklatanter Widerspruch offensichtlich, auf den man hinweisen musste?

Und so hielt es Franz nicht mehr aus, einfach tatenlos am Nebentisch zu sitzen und das ganze zu beobachten, nein, er musste eingreifen. Musste zumindest das kleine Mädchen von diesem Unrecht seiner Tat überzeugen. Er hätte gerne etwas zu der ihm fremden Familie gesagt, wäre er sozusagen näher dran gewesen an ihr, und hätte er dieses nicht erst gesehen, als die Familie sich schon zum Gehen aufgemacht hatte. Ja er hätte dann etwas  in dem Sinne zu den Eltern des Mädchens gesagt, wie es ginge ihm zwar nichts an, was die ihm fremde Familie da tun und treiben würde, aber er möchte an die geschätzten Eltern des doch lieben und netten Mädchens die Frage richten, ob sie sich sicher wären, sich ihrer Tochter gegenüber in vorbildlicher Weise verhalten zu haben, wenn sie etwa ein noch halbes Schnitzel, das die werte Tochter nicht gegessen hat, einfach zurücklassen, wohl wissend, dass dieses in der Küche weggeworfen würde. Und dieses angesichts des Hungers in der Welt und wohl auch des Elends hierzulande, das den lieben und geschätzten Eltern doch wohl auch nicht entgangen sein dürfte, ja auch bei uns gebe es viele Menschen, die sich nicht jeden Tag ein Schnitzel leisten können würden oder vielleicht überhaupt eine warme Mahlzeit.  Und obendrein gelte es doch auch noch, sich des Tierleids zu besinnen, sei mit dieser Tat das Schwein, von dem das Schnitzel stammen würde, so gesehen völlig umsonst oder zumindest aber um genauen den Teil seines Fleisches, den es für dieses eben zurückgegebene weil nicht aufgegessene und somit nur mehr für den Küchenabfall bestimmte Schnitzel, geschlachtet oder umgebracht worden.

Sie, die liebe kleine Tochter der so angesprochenen Eltern könnte die Folgen dieses ihres Verhaltens natürlich noch nicht in seiner Tragweite abschätzen, doch den lieben Eltern müssten doch die Folgen ihres Verhaltens bewusst sein. So oder so ähnlich hätte Franz die Eltern des Mädchens angesprochen. Und egal wie die so von ihm angesprochene Familie reagiert haben würde, ob etwa der Familienvater sich dadurch provoziert gefühlt und Franz zurückgefragt hätte, was ihn, Franz, denn das angehen würde, und dass er sich doch um seinen eigenen Dreck kümmern solle, oder ihm darauf womöglich noch eine Ohrfeige angedroht hätte. Oder auch die Mutter des Mädchens hätte das Verhalten ihrer Tochter zu verteidigen begonnen und gemeinsam wären sie nun über Franz hergefallen. Und dieser wäre dann wohl wie ein begossener Pudel abgegangen. Ja, Franz hätte also entweder mit einer Kampfszene rechnen müssen oder aber er wäre, ohne sich den weiteren Beschimpfungen des Elternpaares oder womöglich auch von deren Tochter noch aussetzen wollend, das Lokal zu verlassen genötigt gewesen.

Ja und gesetzt dem Fall, es wäre so gewesen, wäre Franz stark genug gewesen, der Ohrfeige zu parieren, diese womöglich auch zu erwidern, weil er schon mal herausgefordert worden war und er dann erst recht seiner Sache sicher gewesen wäre? Hätte er am Ende dann sogar eine Schlägerei riskiert, was wiederum der kleinen Tochter gegenüber nicht gut ausgesehen haben würde? Er wäre dann doch etwas blamiert gewesen, wie er schätzte. Andererseits wäre eine aus diese Wortwechsel heraus entstandene Schlägerei auch wieder irgendwie ganz lehrreich gewesen, weil sie mit einem Mal klare Verhältnisse schuf, weil er, Franz, sich seiner Sache sicher seiend für etwas eingestanden und dann auch bereit gewesen wäre, dafür zu kämpfen? Und das kleine Mädchen hätte ihren Vater dann auch einmal von einer ganz anderen Seite erlebt, wie es ihn bis jetzt noch gar nie gesehen hatte, was  dann vielleicht sogar in weiterer Folge ihr Vaterbild nachhaltig verändert haben würde, oder dieses auch verstärkt hätte,  indem der Vater den unangenehme Fragen stellenden fremden Mann einfach eine gelangt hätte, ihn womöglich zu Boden gehauen wie in einem jener Comics, die sie so gerne las, sich also als ein richtiger Held aus einem solchen entpuppt hätte.   Franz hätte natürlich auch sagen können: „Nein, nein, so war es nicht gemeint, keine Gewalt. Ich wollte Sie keinesfalls provozieren!“ Und somit klein beigegeben. Aber hätte ihm die Familie das noch abgenommen? Franz hätte sich also als Sieger oder als Opfer erleben können.

Es hätte aber auch sein können, dass sowohl der Vater als auch die Mutter mit Verständnis auf die ganze Sache reagiert hätten. Also Franz entgegengekommen wären, indem sie etwa gesagt hätten, ja, sie wüssten natürlich, es sei ihnen vollkommen bewusst, dass das arme Schwein jetzt umsonst umgebracht worden ist, weil ihre Tochter, die sich unbedingt noch ein Schnitzel eingebildet, ja auf ein Schnitzel bestanden hätte, und sie, weil sie eben antiautoritäre Eltern sein würden, den Wunsch ihrer Tochter unmöglich hätten abschlagen können, und obwohl sie schon gewusst hätten, dass ihr liebes Töchterchen das Schnitzel unmöglich werde fertig essen können und auch sie einfach über nicht mehr so viel Hunger verfügten,  dass sie das Schnitzel dann zu Ende hätten essen können. Und so sei eben die Sache so geworden wie sie geworden sei und das Schnitzel im Abfalleimer der Gasthausküche gelandet und das arme Schwein dann eben umsonst gestorben bzw. um eben diesen Teil des besagten Schnitzels gestorben. Beides wäre also möglich gewesen.

Aber die Eltern waren ja schon gegangen, als Franz überhaupt seine Überlegungen erst anzustellen begonnen hatte. So ärgerte dieser sich gleich zweifach, einmal eben über das übriggelassene Schnitzel und einmal über seine Unfähigkeit, etwas zu den Eltern gesagt zu haben, sich sozusagen als aktiver kritisch denkender Bürger in einen Prozess eingemischt zu haben.  Ja er hätte den Eltern noch nachrufen können, irgendeinen (Warn)ruf oder einen Fluch nachrufen: Himmel und Teufel, eine solche Frechheit sei das doch wohl, ein halbes Schnitzel einfach so mir nichts, dir nichts auf dem Teller liegen zu lassen und zu gehen, und dabei hungert ein Drittel der Menschheit, und die Tiere werden geschlachtet, umsonst geschlachtet, völlig umsonst geschlachtet! Ja, das hätte Franz der abgehenden Familie noch nachrufen können. Das hätte Eindruck gemacht, sicher hätte das Eindruck gemacht, zumindest auf die noch an ihren Tischen sitzenden Gäste, die ebenfalls Schweinebraten und Schnitzel verzehrend sich fragend umgesehen und sich gefragt hätten, wem dieser Ruf den gegolten haben würde.

Hätten schließlich auf ihn, Franz, geschaut, und ihn vielleicht auch gefragt, was das denn sei, und ob er, Franz, denn übergeschnappt sei. Vielleicht hätte man ihn dann sogar des Lokals verwiesen oder ihn aufgefordert, selbiges zu verlassen oder ihn zumindest veranlasst, seinen Mund zu halten, während der Ober das vom reizenden Mädchen nicht aufgegessene Schnitzel zurück in die Küche getragen hätte, wo es dann in den Abfalleimer befördert worden wäre. Oder hatte am Ende vielleicht der Gasthaushund das Schnitzel bekommen, der Abend für Abend sehnsüchtig auf die Schnitzelreste wartete, die die Gäste übrigließen?

Helmut Schiestl

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