2

Das echte Leben hat keine Kommentarfunktion

depression-1250870_960_720

Ich bin sehr müde. Die Geburtenrate in Österreich ist gestiegen. Endlich mal eine erfreuliche Nachricht, hätte ich gerne gemeint. Aber der Blick auf die Kommentare hat mich schnell eines Besseren belehrt. Wie viele von den putzigen kleinen Babys denn nun „echte Österreicher“ seien, möchte man dort wissen. Nach Mädchen hat übrigens noch keiner gefragt, just saying. Und auch sonst ist irgendwie nie etwas gut genug.

Die Kommentarspalten. Selbst dieser Text, das weiß ich jetzt schon, wird kritisiert werden. Schließlich ist es ja nur ein „Befindlichkeitstext“ und ich sollte lieber eine wissenschaftliche Abhandlung voller schlüssiger und vor allem objektiver Argumente über die Auswirkungen des Whataboutism auf das heimische Schmetterlingsvorkommen schreiben. Ich freue mich ja sonst immer über neunmalkluge Vorschläge dazu, was ich EIGENTLICH hätte schreiben können. Tja, ich schreibe aber jetzt über meine Befindlichkeit, darüber, wie müde ich bin. Ich bin aber auch schon gespannt (plot twist) auf die ellenlangen Kommentare, die meinem Text deshalb schlichte Inhaltslosigkeit vorwerfen. Dazu kann ich nur eine Frage stellen (eine rhetorische versteht sich, im Dienste der Inhaltlslosigkeit): Was ist sinnloser: einen inhaltslosen Text zu produzieren oder aber diesen zu lesen und ihm auch noch einen ellenlangen Kommentar zu widmen? Und wenn man eh schon so genau weiß, welcher Aspekt denn der interessantere zu beleuchten gewesen wäre, warum setzt man sich dann nicht schlicht hin und schreibt selbst darüber? (Ja, das waren jetzt zwei Fragen, liebe KritikerInnen)

Tja, warum eigentlich nicht, hm? Weil es nämlich viel einfacher ist, andere in ihrem Tun zu kritisieren, als selbst etwas zustande zu bringen. Es soll ja andererseits AutorInnen geben, die mit wilden Überspitzungen um sich werfen, Clickbaiten wie die Weltmeister und sich am Ende angesichts der Kritik winselnd in eine Ecke verziehen und darüber heulen, wie sehr sie doch von der Welt missverstanden werden. Freilich, so etwas muss nicht sein. Weil man als Schreibender – wie auch als Handelnder im Allgemeinen – nämlich Verantwortung übernimmt und sich dieser bewusst sein sollte. Und genau diese Verantwortung ist es, die sich viele Menschen nicht zu übernehmen trauen.

Und deshalb bin ich so müde. Weil die Art und Weise, wie Menschen es stattdessen bevorzugen, sich in Kommentarspalten über andere herzumachen, die zumindest versuchen, selbst etwas auf die Beine zu stellen, so eine treffende Metapher für das Leben ist. Es gibt zwei Arten von Menschen (Behauptung aus eigener Erfahrung ohne wissenschaftliche Belegbarkeit). Die eine Sorte, die aufsteht, Dinge aktiv in die Hand nimmt, versucht, Verbesserungen herbeizuführen und durch das eigene Handeln Verantwortung übernimmt. Und dann gibt es die Sorte von Menschen, die all das nicht tut. Darin ist an sich noch überhaupt keine Wertung zu sehen. Paradox ist jedoch, dass die erste Gruppe viel zu oft unter Totalbeschuss gerät, ich spreche da aus eigener unmittelbarer Erfahrung. Klar, es ist immer leicht am Spielfeldrand zu stehen und zu schimpfen. Würde man dem Glauben schenken, dann könnte jede/r bierbäuchige Fußballfan alles besser machen als die Jungs oder Mädls am Feld. Naja, wer’s glaubt.

Es kommt mir bald so vor, als wäre unsere Welt zu einer Partie Riesenschach mutiert. Zwei spielen und der größere Teil schaut nur zu, weiß aber bei jedem Zug alles besser. Die einzigen, die überhaupt nichts kapieren, sind scheinbar die am Feld Agierenden. Dabei haben sie sich als einzige getraut, den Spielverlauf selbst in die Hand zu nehmen und von da, wo sie stehen, haben sie eine völlig andere Perspektive. Klar, wer handelt macht Fehler und wird dadurch angreifbar. Wir leben in einer Meinungsgesellschaft und das ist ja per se nichts Schlechtes. Aber gerade weil das so ist, beweisen diejenigen mehr Mut, die aufstehen und anpacken. Sie sind die Menschen, die unsere Welt ein Stück schöner, besser und gemütlicher gestalten. Ja, sie machen Fehler, aber an diesen Fehlern wachsen sie. Wer nur am Rand steht und mit dem Finger zeigt, der hat sich am Ende des Tages keinen Fingerdeut weiterentwickelt.

Das sollten sich wohl viele Menschen vor Augen halten, bevor sie das nächste Mal mit sinnloser Kritik um sich werfen oder gar beleidigend werden gegenüber Menschen, die sie gar nicht oder kaum kennen. Das wahre Leben spielt sich nicht in den Kommentarspalten ab – sie sind nur der Spielfeldrand. Es ist nichts Verwerfliches daran, manchmal lieber am Rand stehen zu bleiben. Aber wo auch immer wir stehen, sollten wir uns selbst und unsere eigene Position nicht so wahnsinnig ernst und vor allem wichtiger als die der anderen nehmen. Und niemanden verurteilen, solange wir nicht genau am selben Fleck gestanden haben. Es braucht auch keine großen Heldentaten, es reicht schon, ab und zu mal von der Kommentarfunktion am Smartphone aufzublicken und anderen mal ein Lächeln statt nur Kritik zu schenken. Wenn wir das schaffen, dann wäre es sicher für uns alle ein klein wenig weniger ermüdend. Aber vielleicht spreche ich da nur für mich.

Inhaltsloser Befindlichkeitstext auf Basis eigener Erfahrungen Ende.

Birgit Hohlbrugger

Bild: pixabay.com

Birgit Hohlbrugger

2 Comments

  1. Irgendjemand muss ja wohl die Arschkarte ziehen und diesen Text mit einem Kommentar versehen. Als dann: Gratulation zu und Danke für diesen originellen Text!

    • Hahaha, naja, diese Art von Kommentaren ist natürlich immer sehr erwünscht! Vielen Dank, freut mich. Und es gibt schlimmere Arschkarten denke ich 🙂

Schreibe einen Kommentar zu Johann Alexander Antworten abbrechen

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert