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Bewahrt der Untergang des Morgenlandes vor dem Untergang des Abendlandes?

 

Die Frühgeburt eines Wahlplakats beinhaltet folgenden prominenten Aufruf:

„Wir haben die Pflicht, unseren Kindern ein lebenswertes Innsbruck zurückzugeben!“

Und sein Geschwisterchen:

„Wir haben die Verantwortung, den Menschen ein lebenswertes Innsbruck zu hinterlassen.“

So bietet sich Rudi Federspiel märchenhaft-abermals als FPÖ-Bürgermeisterkandidat für (aber nicht Für) Innsbruck in zwei Varianten an. Der zweite Text modifiziert den ersten: Aus dem historisch belasteten Abstraktum „Pflicht“  wird „Verantwortung“, aus  „unseren [einheimischen?] Kindern“ werden „Menschen“. So greift Rudi F. nach weiteren (nicht nur Stamm-)Wählern. – Ein Wildwest-Desperado als Kosmopolit, ein Reisebürounternehmer, der auch Wirtschafts~Touristen zum Bleiben einlädt?

Ein Nebensatz muss her: Der Infinitivsatz (statt einfach „Wir müssen …“) schärft die Botschaft, die auf Plakaten ohnehin nur plakativ vereinfachen kann.  Aber welche?

Konkretisieren den bloß allgemein formulierten  Appell die Anbringungsorte? Wohl nicht alle. Vor dem Sillpark heißt doch nicht: um das Problem im Rapoldipark zu betonen. Dasselbe Plakat hingegen angebracht an der Eingangswand des Flüchtlingsheims Trientlgasse 2,  hat dort mit seinem Text einen klaren Kontext: das Flüchtlingsthema.

Auch gestaltpsychologisch gesehen hebt der jeweilige Hintergrund (hier: Asylheim) die Figur vor ihm (das Plakat) hervor. Ist der Anbringungsort Absicht, gerät das Phänomen gestalt p ä d a g o g i s c h  und suggeriert tendenziös-provokativ: Vor allem AsylantInnen erschweren das Lebenswerte an Innsbruck. Denn sie sind mitverantwortlich für Bauwut, für Übergriffe (gibt es leider auch – vergleiche obige Datierung), Budgetbelastung und Sozialschmarotzertum. – Eine Unterstellung? Wer eine wie hier beschriebene Rezeptionslenkung annimmt, projiziert wohl andererseits da auch seine eigene Überforderung mit dem Flüchtlingsthema hinein. Und „redlicherweise“ ist zu sagen, dass inzwischen wir alle mit der Flüchtlingskrise überfordert sind.

Könnte Federspiel gemeinsam mit Verbündeten den Untergang des Abendlandes durch Abwahl der aktuellen Stadtkoalition vermeintlich ver-eiteln, wäre zwar nicht zu befürchten, dass er Flüchtlinge und MigrantInnen teeren und federn würde – Gott sei Dank! -, wohl jedoch würde er nicht viel Federlesens machen und sich vornehmlich bei Budgetschwierigkeiten dafür einsetzen, dass eher Fremde Federn lassen müssen (außer zahlenstarke Deutsche und deutsche StudentInnen bei uns als noch höhere, weiterhin zu hofierende Kultur und  willkommen ausgenommene Silvester-ItalienerInnen) und manche Bauprojekte, am wenigsten schätzungsweise aber Federballspiel-, soll heißen Tennisplätze und generell Sportstätten.

Wollen aber „patriotische“ Strömungen nicht als nationalistisch diffamiert werden, „sollten“ sie nicht umgekehrt AsylwerberInnen und ZuwandererInnen pauschaldiffamieren, sondern differenzieren. Alle sind Menschen, aber auch alle verschieden – und alle verscheiden einmal. Der Untergang des Morgenlandes durch dessen ~ Zurückdrängung bei „uns“ kann nicht den Untergang des Abendlandes überwinden. Denn jener verhindert nicht Baumanie, Umweltzerstörung und Arbeitslosigkeit (z.B. den Mangel an Pflegekräften). „Law and Order“-Sheriffe hätten stattdessen vielmehr die Verantwortung, nicht aus der Asylkrise politisches Kapital zu schlagen; auch freiheitliche Funktionäre haben die Pflicht, nicht  monokausal nach „Schuldigen“, nach Sündenböcken zu suchen, sondern soweit als möglich ohne Feindbilder auszukommen.

Die relative Nähe zum seinerzeitigen Gestapo-Lager Innsbruck-Reichenau machen die Flüchtlingsheime in der Rossau zu einem historischen Ort mit der Aufgabe, nicht aus Opfern Täter zu machen und umgekehrt {[(sich stets des Prinzips „Wehret den Anfängen!“ in  j e d e r  |auch linken| Situation mitbewusst zu sein)]}. Daher ist das „Lebenswert“-Plakat an dieser Stelle pietätlos.

Das Plakat ist mit großen Lettern ganz vollgeschrieben: wie zur Vorbeugung gegen stumme Dialoge mit kritischen Filzstiftkommentaren.

Ein adäquates Feedback-Plakat könnte nichtsdestotrotz folgendermaßen lauten:

„Wir haben die Neigung, den InnsbruckerInnen eine liberale FPÖ zurückzugeben.“

(z.B. á la Dillersberger als seinerzeitiger Kufsteiner Bürgermeister!) – Oder gar:

„Wir möchten den Menschen eine liebenswerte FPÖ hinterlassen.“

MICHAEL VOLDRICH

Foto: Christian Niederwolfsgruber

Gast

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