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Anita und Ferdinand (Fast ein Weihnachtsmärchen)

Ferdinand hatte sich mit Anita im Café Wiener getroffen. Sie trank Latte macchiato und er ein Bier. Und nach einer Weile, nachdem sie so über dieses und jenes geredet hatten, hatte Ferdinand  zu Anita gesagt, dass wenn es bei ihr zur Schriftstellerin nicht reichen würde, dann solle sie es doch als Muse eines bekannten Schriftstellers versuchen. Damit sie wenigstens einmal in ihrem Leben im berühmten New Yorker Chelseahotel abhängen könnte. Schön wie sie sei, dürfte für sie das doch kein Problem sein. Das sagte Ferdinand, weil  er erstens eben Anita wahnsinnig schön fand, zweitens die  Huren liebte und drittens nichts dabei fand, wenn schöne Frauen sich für ihre Schönheit von einem reichen Mann aushalten ließen, nicht zuletzt, weil ihm das natürlich schien. Wenn sie sich dafür aber zu schade wäre, sagte Ferdinand zu Anita, dann könne sie ja immer noch beim alljährlich stattfindenden Christkindleinzug das Christkind spielen, und dabei einsam am Straßenrand stehenden Männern ein aufmunterndes Lächeln schenken. Aber auch das lehnte Anita ab. Darauf bestellte sich Ferdinand noch ein Bier, während Anita immer noch an ihrem Latte macchiato nippte, der inzwischen schon kalt geworden sein mochte.

Sie werde Weihnachten mit ihrem Freund und dessen Eltern feiern, sagte sie schließlich in die schon peinlich gewordene Stille hinein, wie um etwas zu sagen, und dabei einer modernen  Dramenfigur nicht unähnlich. Ferdinand sagte darauf nur, dass er Weihnachten zu Hause verbringen werde, ohne Weihnachtsdekoration und ohne Weihnachtsbaum. „Einfach in Ruhe ein Bier trinken, cool bleiben, schlafen gehen“, sagte er. Das fand Anita ein wenig armselig, sagte es aber nicht, in der Angst, Ferdinand damit zu kränken und ihn darauf womöglich noch einladen zu müssen. Aber eine Einladung von ihr hätte Ferdinand sowieso ausgeschlagen, kannte er doch den Freund Anitas viel zu wenig und dessen Eltern überhaupt nicht, und im Übrigen fand er mit Familien verbrachte Weihnachtsfeiern überhaupt nicht gut, weil er sich da immer nur als fünftes Rad am Wagen vorkam, selbst wenn er gut mit ihnen befreundet war.

Anita sagte zu Ferdinand, dass sie jetzt doch nicht kündigen werde, weil die Leute, die sie kannten, immer wieder fragten, wann sie denn endlich kündigen würde, da  sie immer wieder über ihre schlechtbezahlte Arbeit jammerte. Aber da sie nichts anderes finden konnte, blieb sie dort, wo sie war  und mimte ein bisschen die Unglückliche, was ihr aber gut stand. „Und wenn du einmal im Jahr das Christkind spielst, kannst ja noch was dazu verdienen“, sagte Ferdinand aufmunternd-süffisant zu ihr. „Aber nicht so viel, als dass ich davon leben kann“, meinte darauf wieder sie. „Aber die Weihnachtsgeschenke sind schon mal herinnen“, darauf wieder er. Dann gab’s eine längere Stille. Anita lächelt etwas unsicher und nippte ein wenig an ihrem Latte macchiato.

„Die Behinderten haben schön gesungen bei der Weihnachtsfeier“, sagte Anita, wie um das Thema zu wechseln, nach einer längeren Pause des Schweigens. Das gefiel wiederum Ferdinand nicht, dass sie auswich. „Weihnachtsfeiern sind doch was Langweiliges“, sagte er. „Wir machen nie eine, und wenn mal eine stattfindet, geh ich nicht hin. Das ist doch das Letzte. Die sollen die Leute doch besser zahlen, dann können sie sich diesen Firlefanz sparen.“ „Aber viele mögen es halt, weißt eh, wie die Leute so sind.“ „Ja, leider weiß ich das.“ Sie hätten sogar zwei Weihnachtsfeiern, sagte dann Anita noch. Die eine, die schon war, die mit Behindertenchor und Krippenspiel, und die für die ganze Belegschaft gedacht war. Und dann gab es noch eine kleine, die das Team, in dem sie arbeitete, selbst machte.  Und da fuhr man dann zu einem Berggasthaus hinauf und ließ dort ordentlich die Sau raus.

„Und was tust du, wenn du am Weihnachtsabend allein zu Hause bist?“, fragte Anita „Wie schon gesagt, in Ruhe ein Bier trinken, eine Zigarette rauchen, nachdenken …“ „Nachdenken über was?“, fragte Anita weiter. „Über dieses und jenes. Kann ich dir jetzt noch nicht sagen. Über das permanente Schwinden religiöser Festgehalte zum Beispiel. Dass immer noch getan wird als wie wenn das für die Leute alles noch total wichtig wäre, dieser Kult um die Geburt Christi, obwohl immer weniger Menschen daran glauben und, laut Umfragen zumindest, nur mehr zu einem kleinen Prozentsatz überhaupt wisse, was Weihnachten eigentlich gefeiert wird.“ – „Aber glaubst nicht auch, dass den Menschen was abgehen würde, wenn sie das nicht mehr feiern könnten, auch wenn sie gar nicht mehr wissen, was sie eigentlich feiern? Schon der freien Tage wegen.“

„Ja, wahrscheinlich ist es so“, meinte darauf Ferdinand.  „Und später dann werde ich mir einen Porno aus dem Internet reinziehen.“ – „Du schaust dir Pornos an?“ –„ Ja, warum nicht.“ -„Auch am Heiligen Abend?“ – „Ja, aber keine Kinderpornos, keine Angst! So einer bin ich nicht!“ – „Ja warum auch nicht, eh. Vielleicht kommt der Weihnachtsmann als Pornoqueen verkleidet zu dir und bringt dir ein paar heiße Porno-DVDs.“ – „Glaub ich nicht. Muss ja auch nicht sein. Sind ja auch mehr so Softpornos, wo scharfe Mädels unter der Dusche stehen und es sich selbst besorgen oder sich ihr Schamhaar rasieren, nichts wirklich Perverses, überhaupt nicht! Zumindest nicht dümmer als die verkitschten Hirtenspiele, wie sie um diese Zeit im Fernsehen immer wieder gezeigt werden. Und wie viele saufen sich am Heiligen Abend einen Rausch an und verhauen dann am Ende vielleicht noch ihre Frau und ihre Kinder. Das ist pervers.“ – „Ja, sicher.“

„Und wenn du am Heiligen Abend in der Stadt irgendwo etwas trinken gehen willst, dann findest du nur geschlossene Gasthäuser. Da frag ich mich dann auch wieder, wo gehen die Leute am Heiligen Abend hin, die einsam sind. Die sitzen dann zu Hause vor ihrem Fernseher, fressen ihren Weihnachtsaufschnitt und ihren kalten Schweinsbraten oder was weiß ich was,  und schauen sich  Licht ins Dunkel an. Schrecklich oder.“ –  “Schrecklich ja“ – „Und kommen sich dann noch gut vor dabei, weil sie nicht so arm sind wie die armen Krüppel im Fernsehen.“ – „Ja, oder kommen dann erst recht ins Grübeln, und denken, wie schlecht die Welt ist, und fangen am Ende noch zu weinen an und sind dann fix und fertig.“

„Vielleicht spenden’s dann ja auch was.  Dann wär der Sinn des Festes wenigstens  nicht ganz verfehlt, denk ich mal.“ – „Ja, aber wär’s nicht besser, sie würden in ein Gasthaus gehen, mit andern Leuten feiern, zumindest sich von Tisch zu Tisch zuwinken und sich ein frohes Fest wünschen und sich vielleicht einander zuprosten. Und so auf andere Gedanken kommen und am Ende dann vielleicht beschwingt und beschwipst nach Hause gehen.“   –  „Aber die Wirtshäuser sperren alle zu am Heiligen Abend, und lassen die Leute daheim dumm sterben.“ – „Aber das Personal will halt auch mal frei haben.“ –  „Ja aber die sind doch auch nicht mehr so gläubig, wie die Umfragen belegen. Und sonst wollen’s ja auch immer offen haben, auch an den Sonntagen ihren Ramsch verkaufen, das ist wichtig. Aber wenn am Heiligen Abend so und so viele Menschen sich zu Hause in ihr Bett verkriechen oder sich vor dem Fernseher einen ansaufen, dann kümmert das leider niemanden. Die Leute sollen halt in die Kirchen gehen, sagen sie. Obwohl das immer weniger interessiert.“

„Mach halt eine Party“, meinte Anita nach einer längeren Pause.  „Da hat doch keiner Zeit.“ –  „Ein paar werden schon Zeit haben. Es werden ja wohl nicht alle deine Freunde und Freundinnen in einer Zweierbeziehung leben oder verheiratet sein, und sonst ladest halt beide ein.  So könnte Weihnachten auch sein“, und  nach einer Pause. „Warum bist’ nicht weggefahren?“ – „Gute Frage! Nächstes Jahr werde ich es tun. Da fahr ich irgendwohin in den Süden. Vielleicht nach Bosnien oder in die Osttürkei. Dort, wo mich niemand kennt, niemand einladet und niemand anleiert.“ – „Vielleicht findest dort eine einsame Schönheit, die dir frohe Weihnachten wünscht.“ – „Ja, vielleicht. Der schreib ich dann ein schönes Weihnachtsgedicht rund um ihren Bauchnabel und lass es dann direkt darin verschwinden.“  – “Das ist eine tolle Idee! Das gefällt mir!“ Anita gab Ferdinand einen Kuss.

„Wir müssen nur unsere Haut so lange beschreiben, bis sie völlig vollgeschrieben ist, wie ein dickes Notizbuch und nichts mehr Platz hat auf ihr. Von all unseren Träumen und Hoffnungen, alle unsere Wünsche für eine bessere Welt. All das viele Zeug, das wir ständig im Kopf mit uns herumtragen und uns niemandem zu sagen trauen.“  Sie schwiegen eine Weile und schauten sich an. Schließlich fragte Ferdinand Anita, ob sie mit ihm mit der Transsibirischen Eisenbahn nach Wladiwostok fahren würde.  „Mit der transsibirischen Eisenbahn? Ja, warum nicht! Nach Russland wollte ich sowieso schon lange mal.“ – „Gut, dann fahren wir nächstes Jahr zu Weihnachten. Dann mieten wir uns am Heiligen Abend in einem sibirischen Hotel ein, und ich verkleide mich als russischer Pope und lese dir eine Heilige Messe. Ganz exklusiv für dich. Wäre das nichts?“ – „Doch das wäre großartig. Und ich bin dann eine russische Puppe, so dass du ewig lange brauchst, um mich auszuziehen, und es am Ende aufgibst, weil du völlig fertig bist.“

„Da unterschätzt du mich aber. Außerdem bin ich dann ja ein Pope, und habe alle Geduld des Herzens, musst du wissen. Und so viel Kleider kannst du gar nicht tragen, aus denen ich dich nicht herausschälen könnte!“ – „Und wenn du’s geschafft hast, dann kannst du mich beschreiben, mit kohlrabenschwarzer Tinte auf meinen blütenweißen Christkindlleib.“ – „Das ist lieb“ – „Und du wirst mich dann auf frisches russisches Stroh legen und mich anbeten.“ – „Das werde ich tun, ja, das werde ich tun. Garantiert.“ – „Und die Hirten werden kommen, die ganzen Hirten der Taiga mit ihren dicken Schafen und am Ende dann noch die ganzen Oligarchen, verkleidet als Heilige Drei Könige.“ – „Ja, ja, genau, genau.“ – „Und unsere Liebe wird ohne Ende sein!“ –  „Probieren wir es!“ – „Ja, probieren wir es!“ Sie riefen den Ober, bezahlten getrennt ihre Rechnung und gingen hinaus. Draußen war es kalt. Und in ihnen war es ebenso kalt. Sie schwiegen eine Weile und bliesen ihre Atemwölkchen vor sich her.

„Wir werden es schön haben in Wladiwostok, glaub mir, wir werden durch die Stadt spazieren, uns alles anschauen was es in Wladiwostok anzuschauen gibt.“ – „Ja das werden wir tun, genau das werden wir tun!“ – „Und in der Heiligen Nacht werden wir Wodka trinken, und uns gegenseitig russische Weihnachtslieder vorsingen, die wir vorher auf unserer langen Reise auswendig gelernt haben.“ – „Genau, das werden wir tun. Wir werden singen und fröhlich sein.  Ferdinand gab Anita einen Kuss, ehe er sich von ihr verabschiedete. Der Kuss schmeckte nach frischem Lipgloss und kalter Taiga. Und für Ferdinand war es wie eine Verheißung auf Kommendes. Wladiwostok war weit.

© Helmut Schiestl

Helmut Schiestl

One Comment

  1. Wiederholungszwang treffend problematisiert, „die ewige Wiederkehr des Gleichen“ wesentlich thematisiert und dargestellt:
    Verbringt jemand den „Heiligen (leider oft Streit-)Abend“ einmal allein, erntet er Reaktionen wie „Das ist (dann) aber auch nichts“ und wird bemitleidet. Bräuche sind oft Ersatz für nicht erreichte, ausbleibende, weil nicht entschlossen erkämpfte Neuerungen, Veränderungen zum Besseren hin, Verbesserungen, (Weiter-)Entwicklungen, Wandlungen. Das Alibi für Immer-Gleiches-Tun und -feiern sind mehr oder weniger raffinierte Variationen dabei. Aus Pflicht werden die freien Tage mit Treffen mit Verwandten und Bekannten zugepflastert, die man ohnehin das ganze Jahr über treffen kann! Auch aus Verlegenheit werden Wünsche ausgesprochen und wiederholt, deren Erfüllung nicht von besagtem Insistieren abhängt, sondern wenn, dann von Ernährungstabellen.
    Nach Erweiterung seines Gesichtskreises oder Horizonts strebt nicht jeder. Überraschendes ist ein Geschenk des Geschicks, auf das niemand Anspruch hat. Lebensqualität impliziert auch nicht stets neue und „andere Erfahrungen“. Zufriedenheit, die es ebenso braucht, weht wie der Wind, wo sie will. Frieden zu halten, ist aber sicher immer empfehlenswert und „gut“. Ratschläge und Tipps braucht es ab und zu.
    Verkommerzialisierung allerdings hat auch im ursprünglichen Feiergrund ihren Auslöser! Kitsch korrespondiert mit Unechtheit – in Klischierung und Folklorisierung. Verlogen muten mich zumindest Hirtenspiele und langatmiges Anklöppeln an, wenn volksnahe Einfachheit und Rustikalisierungsbedürfnisse (nach „Weihnachten, wie es war“), U R I G K E I T also andererseits etwa längst eine Personalunion mit dem Betonierungs- und Beschallungswahn eingegangen sind. Hinter grünem Filzhut und Lodenmantel, Dialekt inklusive, steckt ja nun doch meist ein Autofahrer oder Jäger oder beides. Mancher Anklöppler etwa redet nach seinem Auftritt in feuchtfröhlicher Runde relativ ordinär daher – wohl, weil auch ihm die Intensität der von ihm ausgeübten Bräuche (andernfalls Zeremonien, Riten und Rituale, Formen wie Formeln) zumindest zeitweise auf die Nerven geht.
    Wer kritisiert, habe auch Alternativen anzubieten (wie in Helmut Schiestls Anti-Märchen die darin angedachten Einsamenpartys), oder enthalte sich einfach so manchem Brauch.
    Konkret hätte Innsbruck am 23.12.´18 eine Queer-Party im Hafen zu bieten gehabt, am eiligen Abend die Gelegenheit, in die Mausefalle vieler rotweißer Jung(nicht C.G.)-Santa-Claus-Bemützter zu tappen, und am Christtag im neuen Gesellschaftstempel B1 die Möglichkeit, seinen Pullover einmal anständig zu räuchern und Verruchtes schätzungsweise in je anderer als gewünschter Art anzutreffen.
    Verunstaltungsangebote sind in letzter Zeit selbst in Innsbruck nicht rar.
    Die Nachfrage möge sich je um eine gedeihliche Atmosphäre bemühen, um hier oder da auch in eigenem Interesse mitmischen zu können.

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