Abend im Dom

Am Abend läuten im Dom die Glocken. Aber es findet darin keine Messe statt. Weil es keinen Priester mehr gibt, der diese lesen könnte, vielleicht auch, weil dieser sie woanders liest. Und der Bischof keine Zeit hat. Der Dom ist leer, nur ein paar Touristen irren noch darin herum und bestaunen die darin enthaltenen Kunstwerke. Was aber, wenn ein Atheist die Messe lesen würde? Paradox, oder? Aber denken Sie mal darüber nach. Er erzählt, dass es keinen Gott gibt, oder zumindest keinen solchen, wie ihn die Gläubigen sich vorstellen. Vielleicht ist er nur die Verschränkung zweier Lichtteilchen im Weltall oder das sekundenbruchteile kurze Aufblitzen einer Schattenfigur im Augapfel.

Der „atheistische Priester“ aber hält bei der Wandlung anstelle der weißen Hostie eine Uhrspirale in die Höhe und sagt: „Seht her, so ist es. Die Spirale der Zeit. Nehmt und seid!“ Und die Leute gehen vor zum Altar und möchten die Spirale berühren. Sie schaffen es aber nicht. Weil die Spirale schneidig ist und an den Fingern schmerzt. Einige bluten sogar deshalb. So gehen sie traurig aus dem Dom. Der Tisch des Herrn bleibt ungedeckt.

So gehen sie in ein Gasthaus und bestellen sich Bier und Essen. Sind glücklich oder auch nicht. Schauen ihrem Gegenüber in die Augen. Sehen nichts als Furcht und Schrecken. Sind auf der Hut. Weinen vielleicht insgeheim kleine Tränen in ihr Inneres hinein. Dann gehen sie wieder.  Einer bleibt zurück, macht mit der Hand die Geste des Fliegenfangens. Er erwischt die Fliege aber nicht. Die Fliege fliegt davon. So geht auch er. Während die Fliege über das milchige Glas der Lampe kriecht. Gelassen bleibt dabei.