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Plattform Asyl und Flüchtlingsprojekt Ute Bock, ein Protokoll

Anfang März haben sich Kathrin Heis von Plattform Asyl aus Tirol und Katja Teichert vom Flüchtlingsprojekt Ute Bock aus Wien im Ute Bock Haus getroffen, um über die unterschiedlichen Herausforderungen ihrer Arbeit im Osten und Westen Österreichs zu sprechen. Wie daran gearbeitet wird, das aktuelle Framing zu ändern und was ihre Arbeit eint, lest ihr im Protokoll.

Ins Ute Bock Haus kommen täglich zahlreiche Menschen, denen es an Nahrungsmitteln und Kleidung fehlt. Dennoch machen Kürzungen im Sozialsystem Schlagzeilen. Katja Teichert ist Geschäftsführerin des Vereins und spricht sich deutlich gegen die schleichende Verarmung von Menschen mit Fluchthintergrund aus.

Plattform Asyl gibt es seit 2011. Entstanden ist der Verein zur Förderung der unabhängigen Rechtsberatung. Daher kam auch der Name Plattform Rechtsberatung und erreichte österreichweite Aufmerksamkeit mit dem Videowegweiser durch das Asylverfahren. Das Angebot der Plattform hat sich verbreitert und seit 2017 heißt der Verein Plattform Asyl und arbeitet an der Bewusstmachung für die Themen Asyl und Flucht in Österreich, die Geschäftsleiterin des Vereins heißt Kathrin Heis.

Was sind die Problematiken beim Thema Flüchtlingsarbeit in Wien und Tirol?
Kathrin Heis: Es ist die Stimmung! Wie ihr hier in Wien versuchen wir in Tirol bewusstseinsbildende Kampagnen zu schaffen, die das Thema positiv besetzen. Wir müssen es schaffen, Geschichten zu erzählen, die es neu besetzen. Aus unseren Schulworkshops wissen wir, dass gerade das Thema Flucht für viele Lehrer*innen ein schwieriges ist, da es die Gesellschaft gerade so sehr spaltet. Lehrer*innen und Eltern sind vorsichtig. In der Erwachsenenbildung ist das vielleicht etwas einfacher. Hier ist Plattform Asyl mit seinem Stationen-Theater und immer wieder mal mit Schulungen für Ehrenamtliche tätig. Was wir gerade aktuell erkennen ist, dass die Ehrenamtsbegleitung unsagbar wichtig wäre, gerade jetzt, wo negative Bescheide und Aberkennungen drohen.

Bei unserer Veranstaltung: „Negativer Bescheid – was nun?!“ waren viele interessierte Personen anwesend. Für uns war besonders wichtig zu sehen, dass es so viele Menschen gibt, die sich mit dem Thema Flucht und Asyl noch immer auseinandersetzen.

Katja Teichert: Die fehlende Begleitung der Ehrenamtlichen ist auch bei uns bemerkbar. Zahlreiche Ehrenamtliche haben sich ein ungemein großes Wissen angeeignet, kennen alle Schwierigkeiten eines Asylverfahrens und werden jetzt mit Aberkennungen konfrontiert.

Kathrin: Wenn es zu den ersten Aberkennungen und Abschiebungen kommt, wird es emotional für viele Ehrenamtliche sehr schwierig. Solange sie noch kämpfen können, haben sie Kraft und können sich den Problematiken entgegenstellen.

Katja: Abschiebungen in Wien sind ja bereits der Fall und die Problematiken bekannt. Nur sind sie noch keiner breiten Öffentlichkeit zugänglich, all die Verzweiflung zieht keine breiten Kreise.
Kathrin: Außer beim Thema Abschiebungen von Lehrlingen.
Katja: Durch das Überangebot an Lehrlingen ist das Thema in Wien nicht so groß. Lehrlinge werden von Wien nach Oberösterreich geschickt, da das Thema Lehrlinge in den Bundesländern kritischer besprochen wird. Das AMS bringt Wiener Lehrlinge sogar nach Oberösterreich, dass die Wiener Lehrlinge mit Fluchthintergrund dort Verträge bekommen, allein die Sozialleistungen sind in den Bundesländern oft nicht so hoch wie in Wien.
Kathrin: Und gerade bei uns in Tirol würde es im Tourismusbereich so viele Möglichkeiten geben. Auch wenn das Modell Mindestsicherung in Tirol bisher „besser“ ist als in anderen Bundesländern, reicht es halt auch nur für das Mindeste, dazu kommt, dass die Wohnkosten in Tirol schwieriger zu handhaben sind. Wenn die Sozialhilfe so kommt, wie sie kommen soll, dann wird es maßgeblich schwieriger. Es wird katastrophal.

Katja: Diese neue Sozialhilfe ist eine Unmöglichkeit – sie bestraft ältere Menschen, Menschen, die nicht sprachbegabt sind.
Kathrin: Und auch die Überprüfung, dass man dann am Amt vorsprechen kann/soll/muss – schrecklich. Da werden laufend Willkürakte beschlossen. Und auch die Asylbescheide – kein anderer Rechtsbereich würde zulassen, was dort alles durchgeht.

 

Welche Problematiken gibt es in Wien und beim Flüchtlingsprojekt Ute Bock?
Katja: In Wien läuft alles darauf hinaus, dass es den Menschen nicht mehr möglich ist, ein menschenwürdiges Leben zu führen. Wir haben hier zu viele Menschen in der Grundversorgung. Es handelt sich um ca. 10.000 Menschen, die aber nicht in einer Grundversorgerunterkunft untergebracht sind. Damit leben diese Menschen in der Armutsfalle. Als 4-köpfige Familie bekommt man keine 1000 Euro und damit ist es, bei den Wohnkosten in Wien, einfach nicht möglich, nicht von Armut betroffen zu werden.
Die Leute werden in die Illegalität getrieben. Wenn Menschen in der Grundversorgung keinen Verein finden, wie das Flüchtlingsprojekt Ute Bock, das ihnen Kosten für die Unterkunft und die Nahrungsmittel abnimmt, werden diese Menschen in die Illegalität getrieben. Ich meine, das sind 10.000 Leute. Im Ute Bock Haus werden 300 Leute untergebracht. Was machen die anderen 9700 Menschen? Wie bestreiten die ihren Lebensunterhalt? Wie kriegen die ihr Mittagessen auf den Tisch?

Besonders schwierig finde ich aber, dass mit den Mindestsicherungsreformen vor allem die zweite Generation anvisiert wird, dass es die Kinder sind, die unter der neuen Sozialhilfe leiden. Die Kinder werden schlicht allein gelassen. In Wien wurden die Hilfslehrer*innen massiv reduziert und auch das Schulsozialangebot wurde massiv reduziert. Die Eltern können sich selbstverständlich keinen Hort leisten, die Kinder bleiben auf der Strecke, die Eltern können ihnen nicht helfen und so entsteht unnötigerweise die nächste Generation an Sozialhilfeempfänger*innen. Ich sehe es bei den Büffelböcken im Ute Bock Bildungszentrum, es ist ein ganz herkömmlicher Hort. Dort arbeiten Freiwillige, die teilweise aus dem Bildungsbereich sind. Sie schaffen es durch konsequente Arbeit, dass die Kinder die Schule schaffen und zu Klassenbesten werden. Ich meine, die Kinder sind ja nicht dümmer als andere – sie bekommen nur weniger Chancen.

Kathrin: Das sehen wir in unserem Patenschaftsprojekt, wo Jugendliche, die gerade 18 geworden sind, direkt von der sehr engen Betreuung in Erwachsenenunterkünfte überführt werden. Es führt zu völliger Überforderung. Sie sollen auf einmal alles selbst bewerkstelligen. Die Jugendlichen sehnen sich nach Paten und Patinnen, um in einer „Quasi-Familie“ eingebunden zu sein.
Katja: Jede Familie, die in Österreich angekommen ist, bräuchte Begleitung. Denn gerade auf die begleiteten Jugendlichen, die also mit ihren Eltern nach Österreich gekommen sind, wird kaum Wert gelegt. Für UMFs (unbegleitete minderjährige Flüchtlinge) ist enorm viel Geld da. In begleiteten Familien wird teilweise nur die Muttersprache gesprochen. Der Bildungsstandard reicht von … bis …; aber auch diese Kinder brauchen Unterstützung. Was passiert ist jedoch, dass die Lehrer*innen verzweifeln und der Rassismus unter den Lehrer*innen größer wird.

Wenn jemand aber mit den Lehrer*innen spricht, jemand sich um die Kinder kümmert, dann kann man viele Probleme schnell lösen. Wir haben 33 Kinder im BIZ – es gibt tausende Kinder in Wien, denen geholfen werden muss. In Niederösterreich ist das anders. Da werden Kinder und Familien sehr schnell in die Gesellschaft integriert.
Kathrin: Aber da sieht man sehr gut die Wichtigkeit der Verteilung. Gerade beim Thema Lehrlinge sieht man, dass in kleineren Gemeinden die Abschiebung eines Lehrlings sofort zum Aufschrei führt. In der Gemeinde, bei kleinräumigen Strukturen, ist das viel, viel einfacher als in den Städten. Trotzdem wollen alle in die Städte. Da hat Vorarlberg einen gangbaren Weg vorgezeigt – jede Gemeinde muss aufnehmen.
Katja: Das ist ein großes Thema, das vernachlässigt wurde und Hand in Hand geht die Verteilung in die Schulen. Dabei kennen wir das Problem ja schon vom Jugoslawienkrieg. Wie holt ihr die negative Konnotation des Themas wieder auf den Boden der Tatsachen und schafft es, die Diskussion inhaltlich wieder neu besetzen ?
Kathrin: Durch die Bewusstseinsarbeit – nach den 2 h Schulworkshop in den Klassen passiert etwas in den Köpfen der Schüler*innen. Sie sind extreme Multiplikator*innen, in dem sie ihre Infos, die präsentierten Fakten und das, was sie kennengelernt haben, mit nach Hause nehmen. Das passiert auch über das Patenschaftsprojekt Ertebat, denn die Pat*innen integrieren ihre Paten ganz selbstverständlich in ihrem sozialen Umfeld. Wir versuchen es natürlich auch klassisch mit Öffentlichkeitsarbeit und Kampagnen.
Es setzt sich auch im Sozialbereich durch, Geschichten erzählen zu dürfen. Denn Emotionen sind einfach wichtig.

Katja: Unsere Bewusstmachungsarbeit zielt ganz bewusst auf Emotionen – auch wenn es nach wie vor schwierig ist. Wenn Menschen Geschichten hören, können sie sich identifizieren. Am wichtigsten ist es für uns, aus unserer Blase herauszukommen. Bei Bock auf Kultur haben wir die Möglichkeit, immer wieder aus unserer Bubble herauszutreten. Wir haben diese Möglichkeit, wenn wir in Schulen eingeladen werden, wenn wir auf Universitäten sprechen. Auch auf Messen, Märkten und Demos sind wir vertreten.

 

 

 

Das Interview wurde von Victoria Strobl, Mitarbeiterin in der Öffentlichkeitsarbeit beim Flüchtlingsprojekt Ute Bock, geführt. Das Foto von Ute Bock stammt von Tereza Mundilova. 

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