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Tirol und seine Flüchtlinge

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Aus beruflichen Gründen hatte ich in letzter Zeit vermehrt das vielschichtige und zweifelhafte Vergnügen, durch entlegene und weniger entlegene Winkel von Tirol zu fahren. Um genau zu sein in die Winkel, in denen Flüchtlinge untergebracht sind, untergebracht werden könnten oder auch schon wohnhaft geworden sind und beginnen, sich ein neues Leben aufzubauen.

Es sind diese Punkte, an denen plötzlich klar wird, dass Leben aufgehört hat, Existenzen beendet wurden und nun etwas Neues eintritt, eine Veränderung, die zugegebenermaßen auch für mich, irgendwie gewagt, unvorhersehbar und riskant, ja fast schon unschaffbar erscheint. Dabei begleite ich Flüchtlinge schon seit Jahren auf ihren ersten Schritten in Tirol. Ich weiß, so dachte ich zumindest, bestens über die Probleme Bescheid, die ein Integrationsprozess mit sich bringt.
Und dann plötzlich finde ich mich in einem ehemaligen Gasthof wieder. Die Gaststube wirkt wie ein Geisterhaus auf mich, gespenstisch verlassen und dennoch zeugt alles noch von dem Leben, das hier einst stattgefunden hat.

Es ist eine typische Tiroler Stube mit Holzvertäfelung, massiven Holzstühlen und Tischen, die ein bisschen unordentlich herumstehen. Es wirkt so, als ob die Menschen hier gerade erst vom Essen, einem Kartenspiel oder von Kaffee und Kuchen auf einmal gleichzeitig aufgestanden und gegangen wären. Sie haben alles stehen und liegen gelassen, wie es war. Doch das hektische Stimmengewirr, das an manchen Ecken plötzlich auftauchende laute Gelächter gemischt mit dem Klappern des Geschirrs sind einer neuen Art von Stille gewichen, die nun mitten im Raum hängt. Das alte Leben hat mit einem Schlag Platz gemacht für etwas Neues, was immer da auch kommen mochte. Mit dem aber, was da nun gekommen ist, hat es wahrhaftig nicht gerechnet.

Während ich da stehe füllt sich die Gaststube wieder mit einem neuen Stimmengewirr, Arabisch, Farsi, oder war das eben eine afrikanische Sprache? Wie sie da herumwuseln und auf den Tiroler Sesseln Platz nehmen, wird mir klar, und das zum ersten Mal überhaupt, dass hier etwas Brachiales geschieht. Hier gibt es keinen langsamen Übergang, keinen behutsamen Farbverlauf. Dieses Bild mutet mehr wie zwei Betonplatten an, die mit vollem Karacho aufeinanderprallen. Klar, Betonplatten schauen absolut identisch aus und haben im Wesentlichen dieselben Eigenschaften und so könnte man meinen, dass sie sich gut aneinanderfügen. Aber wenn man sie unvorbereitet derartig aufeinanderprallen lässt, dann muss man trotzdem jedenfalls mit Zerstörung rechnen. Es werden Stücke abbrechen und Risse entstehen. Und es sind eben diese Risse, in denen, eher über Kurz als über lang, Unkraut wuchert.

An diesen Schauplätzen, an denen die Zeit stehengeblieben und viel zu schnell vorangeschritten zugleich scheint, beginne ich allmählich zu verstehen, dass ich von meiner bisherigen Erfahrung nicht mehr ausgehen kann. Angesichts dieser Hardfacts wird die eigene Erfahrung geradezu nichtig und du beginnst dich zu fragen, wo du bisher gelebt hast. Es wird immer so viel darüber geredet, wie die Flüchtlinge sein müssen, wie sie sich zu verhalten haben, was sie verändern müssen, wenn sie zu uns kommen. Nie wird thematisiert, was mit uns geschieht, wie wir sein sollten, was wir tun sollten, wie wir uns fühlen dürfen. Und ich spreche dabei nicht etwa von diesen „Das wird man wohl noch sagen dürfen“-Argumenten und einer Besorgte-Bürger-Rhetorik, weil mich das ankotzt.

Ich spreche davon, dass Veränderung passiert, selbst an jenen Orten, an denen die Zeit stillgestanden zu sein schien. Und Veränderung bringt natürlich positive Aspekte mit sich, aber in erster Linie tut sie weh. Deshalb meine ich, dass auch diese gesellschaftliche Veränderung schmerzhaft und voller Unsicherheit sein darf. Sie muss sogar so sein dürfen, wenn sie von Dauer sein soll.

Die Risse im Beton sind jetzt schon ziemlich tief und genau sie bieten den Nährboden für so viel rechte Hetze. Deshalb wäre es wichtig, mit der Situation behutsam umzugehen, anstatt unkontrolliert Menschen auf Menschen prallen zu lassen. Es hätte von vornherein eine gute, optimistische Begleitung dieses Prozesses gebraucht, wozu sämtliche politischen Zuständigen jedoch absolut nicht fähig waren. Sie wollten es ja nicht sein.

Aber weil Menschen eben auch von Natur aus neugierig sind, kommen inzwischen neue Gäste in den Gasthof. Sie kommen aber nicht mehr als Gäste, sondern um zu helfen, wo es nur geht. Sie lernen Deutsch mit den Neuankömmlingen, unterstützen sie in Behördengängen, und und und. Innerhalb von kürzester Zeit haben sich diese Menschen zusammengeschlossen, vernetzt, Strukturen geschaffen und sind jetzt gerade dabei, sich durch ihre Hilfe Kompetenzen anzueignen, die sie sonst nie gehabt hätten. Und jede Menge über unterschiedliche Lebenssituationen von Menschen zu lernen außerdem. Das ist in erster Linie viel Arbeit. Mühsam und frustrierend ist es außerdem. Eigentlich ist dies aber bereits einer der schönsten Momente in dieser Entwicklung. Denn die, die neu gekommen sind, bewirken eine ungeahnte Veränderung bei denen, die immer schon da waren. Herzen kannst du nur von innen öffnen.

Ich persönlich bin durch diese Erfahrung keinen Schritt von meinem Standpunkt gewichen. Ich stehe immer noch für offene Grenzen, dafür, Flüchtlinge aufzunehmen, ohne Wenn und Aber. Hier an diesem Ort habe ich aber zweifellos etwas über die Welt gelernt, von dem ich bisher nicht wusste, dass es ist. Mein Weltbild ist vielschichtiger geworden. Und Schicht für Schicht ist es Zeit, die Risse im Beton wieder zu glätten.

Birgit Hohlbrugger

Hier gehts zu den anderen Teilen der Serie Ein Schwimmkurs für Einheimische

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